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> falsche Verdächtigung § 164 StGB, wie ist das denn nunwirklich?
tomcraft
Beitrag 18.05.2010, 17:21
Beitrag #1


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Mit Absicht poste ich hier im Unterforum Verwarnungs- und Bußgeld mal zum obigen Thema, weil wir hier ja immer wieder TE schreiben, sie machen sich strafbar, wenn sie Dritte als angebliche Fahrer benennen würden. Grundsätzlich mag es auch so sein, tatsächlich aber gibt es wohl Nuancen, wie ich lernen musste.

Hatte selber einen Strafbefehl des AG Tiergarten gesehen, wo bei einer stino OWI ein Halter paar TS bekommen hatte, weil er einen Dritten nachweisbar bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung falsch benannt hatte. Im SB erfolgte die Sanktionierung nach § 164 Abs. 1 StGB, habe extra nochmal nachgesehen.

Der Wortlaut aus Absatz 1 geht so:

Wer einen anderen bei einer Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger oder militärischen Vorgesetzten oder öffentlich wider besseres Wissen einer rechtswidrigen Tat oder der Verletzung einer Dienstpflicht in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Bei diversen anderen Sachen kamen die Verfahren von der Justiz auch schon mal zurück mit dem Hinweis, diese Norm gelte nicht bei OWis. Und: es stimmt.

Die "rechtswidrige Tat" wird nämlich konkretisiert in § 11 Abs.1 Nr. 5 StGB:

5. rechtswidrige Tat:
nur eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht;


Damit ist § 164 Abs. 1 StGB hier für OWi`s also bereits "gestorben"!

Bleibt noch § 164 Abs. 2 StGB:

Ebenso wird bestraft, wer in gleicher Absicht bei einer der in Absatz 1 bezeichneten Stellen oder öffentlich über einen anderen wider besseres Wissen eine sonstige Behauptung tatsächlicher Art aufstellt, die geeignet ist, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen.

Hiernach kann man auch OWi`s grundsätzlich sanktionieren. In einer aktuellen Sache hat mir die Justiz jedoch eine in juris gefundene OLG-Entscheidung übersandt, in der klar gemacht wird, dass nicht jede falsche Fahrerbenennung auch automatisch geeignet ist, ein behördliches Verfahren gegen den falsch benannten Dritten herbeizuführen.

In dem Fall ging es um eine falsche Benennung einer Tochter gegen die Mutter. Die Tochter erhielt sogar vom AG einen SB, der später nach Einspruch und Verurteilung wohl vom LG bestätigt, aber vom OLG wieder aufgehoben wurde mit der Begründung (mit meinen Worten zusammen gefasst), dass aufgrund der bei dem guten Frotfoto erkennbaren Altersdiskrepanz die falsche Benennung der Verwaltungsbehörde sofort hätte aufallen können oder müssen und somit nicht geeignet war, ein behördliches Verfahren gegen die falsch benannte Mutter einzuleiten.

Als ich mal in einem anderen Thread hier nach Erfahrungen der tatsächlichen Sanktionierung falscher Fahrerbenennungen anfragte war das Feedback ja auch ziemlich spärlich um nicht zu sagen praktisch, also empirisch, null.

Am Ende also scheint die Norm aus § 164 StGB also kein tatsächliches globales Damoklesschwert sondern eher nur ein kleiner Nadelpiker für gaaaaanz bestimmte Fälle zu sein.

Oder hat Jemand in der Praxis wirklich andere Erfahrungen gemacht?

Edit: Und das geforderte "wider besseren Wissens" dürfte in Verfahren, in denen Anhörungsbogen ohne Tatfoto übersandt werden, was ja nicht selten ist, auch jedenfalls nur schwer nachweisbar sein.
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nachteule
Beitrag 18.05.2010, 18:13
Beitrag #2


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Hallo, Tomcraft,

an diesen Thread, den Du angesprochen hast, kann ich mich noch erinnern.

Mir ist persönlich kein Fall bekannt, in dem es tatsächlich eine Anzeige wegen falscher Verdächtigung gegeben hat.

Da wir im VP aber versuchen, möglichst korrekte Antworten zu geben, gehört es m. E. dazu, dass wir darauf hinweisen, dass zumindest die Möglichkeit einer Anzeige und Sanktionierung besteht.

Viele Grüße,

Nachteule


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tomcraft
Beitrag 18.05.2010, 19:13
Beitrag #3


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Zitat (nachteule @ 18.05.2010, 18:13) *
Hallo, Tomcraft,

an diesen Thread, den Du angesprochen hast, kann ich mich noch erinnern.

Mir ist persönlich kein Fall bekannt, in dem es tatsächlich eine Anzeige wegen falscher Verdächtigung gegeben hat.



Genau, damals ging es ja sogar nur um die entsprechenden Anzeigen, nicht mal um deren späteren tatsächlichen Folgen. Die Zahl der Anzeigen hatte sich zumindest in Berlin sicher signifikant erhöht. wavey.gif

Zitat (nachteule @ 18.05.2010, 18:13) *
Da wir im VP aber versuchen, möglichst korrekte Antworten zu geben, gehört es m. E. dazu, dass wir darauf hinweisen, dass zumindest die Möglichkeit einer Anzeige und Sanktionierung besteht.


Die Hervorhebung habe ich jetzt gemacht.

M.E. nach müsste für korrekte Antworten aber also eben statt pauschalem Hinweis auf eine "lupenreine Straftat" doch etwas mehr beachtet werden, ob eine Verwechslungsgefahr für die Verfolgungsbehörde zwischen dem angehörten und dem falsch benannten Fahrer überhaupt bestünde. Ähnlich wie bei eventuellen Fahrtenbuchauflagen, wo der Gesetzestext ohne Praxis und Rechtssprechung ja auch im ersten Anlauf viel mehr herzugeben scheint als in der praktischen Umsetzung.

Deutlich gesagt finde ich das nicht besonders positiv aber es scheint ja nun mal so zu sein. think.gif
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durban
Beitrag 18.05.2010, 19:24
Beitrag #4


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In Kenntnis dieses OLG- Urteils schreibe ich bewusst in der Regel, dass das Angeben eines falschen Fahrer gegebenenfalls eine falsche Verdächtigung darstellen könnte.

Wie gesagt, es kommt nur die zweite Begehungsmöglichkeit des § 164 in Betracht.
Und diese liegt eben nur vor, wenn -ganz sprichwörtlich- der Verdacht auf den anderen gelenkt wird.
Wenn dieser andere sowieso schon als Fahrer gar nicht erst in Frage kommt, dann kann das ja gar nicht klappen. Der Taterfolg, nämlich, dass der Verdacht auf jemanden anderes gelenkt ist, kann gar nicht erst eintreten.
Somit liegt nur ein untauglicher Versuch vor, der in diesem Fall nicht strafbar ist.

In meinen Augen eine saubere Rechtsprechung.

Jedoch zeigt dieses Urteil eben auch, dass es durchaus zu Strafverfahren wegen falscher Verdächtigung kommt.


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andreas7z
Beitrag 19.05.2010, 14:22
Beitrag #5


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Meine Frage in diesem Zusammenhang ans Forum.
Wenn der Halter des entsprechenden Fahrzeuges nur einen vermutlichen Fahrer angibt.
Man beschuldigt also einen anderen nur aufgrund einer Vermutung und gibt diesen Sachverhalt so an.
Wenn es sich nur um eine Vermutung handelt, kann man dann noch von einer Anschuldigung wieder besseres Wissen ausgehen, die den Straftatbestand verwirklicht??
Danke für Antworten. Gruß Andreas
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durban
Beitrag 19.05.2010, 15:10
Beitrag #6


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"Wider besseren Wissens" setzt voraus, dass der Täter tatsächlich weiß, dass der Verdächtigte nicht der Täter war.
Wenn er dagegen tatsächlich vermutet, dass der Verdächtigte auch die Tat begangen hat, liegt § 164 nicht vor.


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Peter Lustig
Beitrag 19.05.2010, 18:12
Beitrag #7


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@tomcraft
Hast Du zu dieser Frage schon einmal die aktuellen Strafrechtskommentare zu § 164 StGB gewälzt bzw. ggf auch unter der Bestimmung in Juris zur Rechtsprechung recherchiert? Mein StGB-Kommentar ist leider schon recht alt und enthält demnach auch keine neuere Rechtsprechung dazu.

Ansonsten bleibt nur zu hoffen, dass eine stärkere Beschäftigung der Gerichte mit dem § 164 StGB aufgrund zunehmender Fallzahlen auch eine größere Rechtssicherheit bzw. für die Verfolgungsbehörden einfachere Anwendbarkeit mit sich bringt.
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tomcraft
Beitrag 20.05.2010, 19:19
Beitrag #8


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Hier noch ein "super" Beispiel für ein normal denkendes AG und die dann erfolgte Klatsche beim weiteren Rechtszug:

http://www.verkehrslexikon.de/Texte/FAnschuldigung01.php

Und das sogar bei Anhörungsbogen mit offenbar identifizierbarem Fahrerfoto.

M.E. nach kann man eine tatsächliche Strafverfolgung wegen falscher Fahrerbenennung in den Bereich der häufigsten Irrtümer der Rechtsgeschichte verbannen.
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superdiesel
Beitrag 20.05.2010, 20:55
Beitrag #9


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OT, aber das darf doch hier nicht ungesagt bleiben:
Glückwunsch zur 3000 - passenderweise im eigenen Thread, @tomkraft.


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„Haben Sie beim Autofahren schon bemerkt, dass jeder, der langsamer fährt als Sie, ein Idiot ist
und jeder, der schneller fährt, ein Verrückter?“

Meine Beiträge können auch ohne Kennzeichnung Spuren von Ironie enthalten.
Bei Risiken und Nebenwirkungen fressen sie die Packungsbeilage oder tragen sie ihren Arzt zum Apotheker.
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durban
Beitrag 20.05.2010, 21:43
Beitrag #10


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Zitat (tomcraft @ 20.05.2010, 19:19) *
M.E. nach kann man eine tatsächliche Strafverfolgung wegen falscher Fahrerbenennung in den Bereich der häufigsten Irrtümer der Rechtsgeschichte verbannen.


Das würde ich so nicht sagen. Im Bereich der Verkehrsstraftaten gibt es eine ganze Reihe diesbezüglicher Entscheidungen. Und zumindest theoretisch steht diese Tür auch im Ordnungswidrigkeit offen (z.B. grundsätzlich auch in OLG Düsseldorf, Beschluß vom 09.02.1996 - 5 Ss 460/95 - 5/96 I). Und dass es Behörden gibt, die diese Taten zur Anzeige bringen, mag ich nicht ausschließen.
In der Theorie bejahen die Gelehrten die Möglichkeit der Strafverfolgung jedenfalls eindeutig. Und da Kommentatoren im Straßenverkehrsrecht erstaunlich oft Praktiker sind, liegt es nahe, dass es desöfteren solche Fälle gibt.
Ich vermute jedoch, dass solche Konstellationen nur selten es vor ein höheres Gericht schaffen.


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tomcraft
Beitrag 21.05.2010, 06:43
Beitrag #11


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Zitat (superdiesel @ 20.05.2010, 20:55) *
OT, aber das darf doch hier nicht ungesagt bleiben:
Glückwunsch zur 3000 - passenderweise im eigenen Thread, @tomkraft.



Danke wavey.gif
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