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> StVO §36(5) vs. Straffreiheit bei Flucht, im Fall einer Lasermessung
GM_
Beitrag 28.02.2008, 13:21
Beitrag #1


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Hallo @Experten,

laut StPO ist es (m.W.) an sich nicht strafbar, sich der Verfolgung einer Straftat durch Flucht zu entziehen - gleiches gilt selbstverständlich für eine Owi.

Andererseits gibt es StVO §36(5), also das Anhalten von VT durch Polizeibeamte, ein Verstoß dagegen stellt einen Tatbestand mit 3 Punkten dar.

Wie geht das im konkreten Fall zusammen, wenn ein VT gelasert wurde, dabei zu schnell war, dann aber bei Haltezeichen eines Polizeibeamten einen Fluchtversuch unternimmt (im konkreten Fall hat er gewendet)?

Hier der konkrete Fall.


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Burkhard
Beitrag 28.02.2008, 13:30
Beitrag #2


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Das Thema hatten wir hier auch schon öfters. Letztlich wird die Polizei eine Anzeige fertigen und ein Richter muss entscheiden.

Hierzu mal ein Auszug aus meinem Buch (2. Auflage Seite 46):

Zitat
Anhalterecht
Das Anhalterecht ist in § 36 Abs. 5 StVO ebenfalls eindeutig geregelt. Gem. § 49 Abs. 3 Nr. 1 StVO ist das Nichtbefolgen eines Haltgebots oder einer Anweisung eines Polizeibeamten zum Zwecke einer Verkehrskontrolle eine Ordnungswidrigkeit. Eine Zuwiderhandlung gegen das Haltgebot ist mit 50 € und 3 Punkten (BKat 129) bußgeldbewehrt.

Das Anhalten eines Verkehrsteilnehmers zur Verfolgung einer zuvor begangenen Ordnungswidrigkeit ist von § 36 StVO allerdings nicht umfasst und somit nicht bußgeldbewehrt (BGH VRS 66, 472). In einem solchen Fall ergibt sich die Anhaltebefugnis für den Polizeibeamten aus OWiG und StPO und ist ebenfalls zu befolgen.

BGH, Beschluss vom 31.1.1984 – Aktenzeichen 4 StR 350/83
„Bußgeldbewehrt nach §§ 36 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 1 StVO, § 24 StVG sind alle Weisungen eines Polizeibeamten, die aus einem augenblicklichen Verkehrsbedürfnis heraus zur Regelung des Straßenverkehrs oder zur Beseitigung einer andauernden Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit einem bestimmten Verkehrsteilnehmer erteilt werden, nicht jedoch solche Weisungen, die allein die Verfolgung einer (beendeten) Verkehrsordnungswidrigkeit ermöglichen sollen. “

Erläuterung
In § 36 StVO sind zwei Arten des Anhalterechts enthalten. Nach Abs. 1 dient das Anhalterecht nur der Regelung des Verkehrs. Das in Abs. 5 enthaltene Anhalterecht dient einzig dazu, einen Verkehrsteilnehmer zum Zwecke einer Verkehrskontrolle anzuhalten, nicht aber zum Zwecke des Anhaltens eines Verkehrsteilnehmers, der zuvor eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, die also zum Zeitpunkt des Anhaltens bereits abgeschlossen war, um dessen Identität festzustellen. Darunter fällt z. B. kurzzeitiges Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Dauert dagegen eine Ordnungswidrigkeit an und ist die Verkehrssicherheit dauerhaft beeinträchtigt, so erfolgt dieses Anhalterecht primär auf Grund des Abs. 1 und ist bei Nichtbeachtung auch bußgeldbewehrt (in der Rechtsprechung strittig, es liegt noch keine einheitliche Rechtsauffassung vor).

Da aber regelmäßig das Anhalten zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit auch mit dem Ziel verbunden ist, eine Verkehrskontrolle i. S. d. § 36 Abs. 5 StVO durchzuführen, dürfte eine klare Abgrenzung regelmäßig problematisch sein.


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GM_
Beitrag 28.02.2008, 13:36
Beitrag #3


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Vielen Dank! Ich hatte gesucht, aber nichts gefunden.

Sind denn konkrete Urteile bekannt, die auf den Fall passen?


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Achim
Beitrag 28.02.2008, 14:06
Beitrag #4


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Zitat (GM_ @ 28.02.2008, 13:36) *
Vielen Dank! Ich hatte gesucht, aber nichts gefunden.

Nicht suchen, sondern kaufen whistling.gif



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Burkhard
Beitrag 28.02.2008, 14:26
Beitrag #5


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Zitat (GM_ @ 28.02.2008, 13:36) *
Sind denn konkrete Urteile bekannt, die auf den Fall passen?

Habe ich doch oben angeführt. whistling.gif
Alle anderen Entscheidungen richten sich nach dieser Grundsatzentscheidung.


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GM_
Beitrag 28.02.2008, 14:39
Beitrag #6


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Ja, Du schreibst aber:
Zitat
Da aber regelmäßig das Anhalten zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit auch mit dem Ziel verbunden ist, eine Verkehrskontrolle i. S. d. § 36 Abs. 5 StVO durchzuführen, dürfte eine klare Abgrenzung regelmäßig problematisch sein.

Mich würde eben interessieren, welche Prognose sich daraus für den konkreten Fall ergibt. Dies als Anhaltspunkt für den Betroffenen bezüglich der Chancen eines Einspruchs.

Ich persönlich würde die Lage so interpretieren, dass hier der Betroffene nicht verurteilt werden darf. Wenn der BGH feststellt, dass das Anhalten zur Verfolgung eine Owi nicht von §36 erfaßt wird, dann hat er sich dabei sicher nicht vorgestellt, dass das regelmäßig mit dem Argument der gleichzeitigen Verkehrskontrolle ausgehebelt wird.


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Burkhard
Beitrag 28.02.2008, 14:44
Beitrag #7


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Hier noch weitere Entscheidungen zum Thema

- OLG Koblenz, vom 20.02.1986- Aktenzeichen 1 Ss 64/86

- OLG Hamm, Beschluß vom 28.04.1983- Aktenzeichen 3 Ss OWi 386/83

- OLG Düsseldorf, Beschluß vom 30.03.1994- Aktenzeichen 5 Ss (OWi) 74/94 - (OWi) 68/94 I

- OLG Düsseldorf, Beschluß vom 05.06.1996- Aktenzeichen 5 Ss 160/96 - 49/96 I


Ob es zu einer Ahndung kommt, hängt maßgeblich von der Einlassung des Beamten ab. Wenn beispielsweise eine Kontrollstelle eingerichtet wird, um Fahrzeuge zum Zwecke einer allgemeinen Verkehrskontrolle anzuhalten und in diesem Zusammenhang zeitgleich eine Geschwindigkeitsüberwachung durchgeführt wird, dann verfolgt das Anhalten zwei Ziele, erstens die Durchführung einer Verkehrskontrolle und zweitens die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit. Wie ein Richter das letztlich sieht, kann ich nicht prognostizieren, da ich bei der Beurteilung der Rechtslage befangen bin und daher nicht objektiv sein kann. Meine Zielsetzung dürfte klar sein . police.gif

Der Beitrag wurde von Burkhard bearbeitet: 28.02.2008, 14:52


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GM_
Beitrag 28.02.2008, 15:04
Beitrag #8


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***

Wenn ich das richtig verstehe, beziehen sich die ersten 4 Entscheidungen allerdings immer auf Absatz 1 des §36, nicht auf Absatz 5, die letzte bezieht sich auf § 113 StGB. think.gif

***Die Kurzleitsätze unterliegen leider dem Urheberrecht und dürfen nicht eingestellt werden.


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Burkhard
Beitrag 28.02.2008, 15:10
Beitrag #9


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Nein. In den Urteilsbegründungen wird allgemein auf das Anhalterecht eingegangen. Ich werde mal ein oder zwei Urteile aufarbeiten. Ist allerdings eine Menge Arbeit und braucht etwas Zeit.


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swift
Beitrag 28.02.2008, 15:15
Beitrag #10


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Zitat (Burkhard @ 28.02.2008, 15:10) *
Nein. In den Urteilsbegründungen wird allgemein auf das Anhalterecht eingegangen. Ich werde mal ein oder zwei Urteile aufarbeiten. Ist allerdings eine Menge Arbeit und braucht etwas Zeit.

Das wäre wirklich sehr interessant.

Vielen Dank für deine Zeit und Mühe.

wavey.gif
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GM_
Beitrag 28.02.2008, 15:28
Beitrag #11


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Zitat (Burkhard @ 28.02.2008, 15:10) *
Nein. In den Urteilsbegründungen wird allgemein auf das Anhalterecht eingegangen. Ich werde mal ein oder zwei Urteile aufarbeiten. Ist allerdings eine Menge Arbeit und braucht etwas Zeit.


Zitat (Burkhard @ 28.02.2008, 14:44) *
... da ich bei der Beurteilung der Rechtslage befangen bin und daher nicht objektiv sein kann. Meine Zielsetzung dürfte klar sein . police.gif


Vielen Dank. Die Mühe würde sich natürich besonders lohnen, wenn du es hier im Forum möglichst unbefangen darstellen könntest. whistling.gif


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Burkhard
Beitrag 28.02.2008, 15:30
Beitrag #12


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Hierbei handelt es sich um einen Auszug aus der Entscheidung zur Widerstandshandlung durch Verriegeln der Türen. Die Begründung, dass es sich um einen Widerstand nach § 113 StGB handelt habe ich ausgeklammert, da sie für die hier zur Disposition stehende Frage nicht relevant ist.
Zitat

OLG Düsseldorf, Beschluß vom 05.06.1996- Aktenzeichen 5 Ss 160/96 - 49/96 I


§ 36 Abs. 5 Satz 1 StVO ermächtigt die Polizeibeamten, Verkehrsteilnehmer zur Verkehrskontrolle anzuhalten. Der Vollstreckung dieser gesetzlichen Ermächtigung im Einzelfall dient das Haltegebot, das nach § 36 Abs. 5 S. 2 StVO in der zur Tatzeit gültigen Fassung der Neunten Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrsordnung vom 22. März 198B (BGBl. I S. 405; nach der Neufassung durch die Elfte Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrsordnung vom 19. März 1992 [BGBl. I S. 678) jetzt Satz 4) von jedem Verkehrsteilnehmer zu befolgen ist (BGH a.a.O.; Jagusch-Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 33. Aufl., § 36 StVO , Rn. 24; Mühlhaus-Janiszewski, StVO , 14. Aufl., § 36 , Rn. 12). Ein Polizeibeamter, der einen Verkehrsteilnehmer bei einer Verkehrskontrolle im Sinne des § 36 Abs. 5 StVO anhält, nimmt deshalb eine Vollstreckungshandlung im Sinne des § 113 StGB vor (BGH a.a.O.; OLG Celle NJW 1973, 2215 ; von Bubnoff a.a.O., Rn. 11; Dreher-Tröndle a.a.O., Rn. 4; Eser a.a.O., Rn. 11 und 13; Jagusch-Hentschel a.a.O., Rn. 25; Mühlhaus-Janiszewski a.a.O., Rn. 14). Die Zivilkleidung des Beamten ist für seine Befugnisse als Amtsträger oder den Charakter seiner Tätigkeit als Diensthandlung ohne Bedeutung (OLG Hamburg VRS 24, 193 , 195; Dreher-Tröndle a.a.O., Rn. 16; Eser a.a.O., Rn. 13).

b)

Der Angeklagte war nach § 36 Abs. 5 S. 2 StVO a.F. verpflichtet, der Aufforderung der Polizeibeamten zum Anhalten und Aussteigen zu folgen. Diese Anweisungen waren nach Inhalt und Zweck durch jene Bestimmung gedeckt und deshalb rechtmäßig im Sinne des § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB .

§ 36 Abs. 5 StVO ermächtigt die Polizeibeamten zur Durchführung allgemeiner Verkehrskontrollen, d.h. zur Prüfung der Fahrtüchtigkeit der Fahrzeugführer, der nach den Verkehrsvorschriften mitzuführenden Papiere sowie des Zustandes, der Ausrüstung und der Beladung des Fahrzeugs (BGHSt. 32, 248, 254 f.; Senatsbeschluß vom 29. Januar 1981 - 5 Ss (OWi) 733/80 - 34/81 1; Jagusch-Hentschel a.a.O., Rn. 24). Diese Bestimmung ist vorliegend nicht etwa deshalb unanwendbar, weil sich die Polizeibeamten nach den Feststellungen des Landgerichts wegen der zeitweilig ausgeschalteten Beleuchtung des Fahrzeugs und damit wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 17 Abs. 1 S. 1, 49 Abs. 1 Nr. 17 StVO, 24 Abs. 1 StVG zum Anhalten des Pkw entschlossen haben. Abs. 5 des § 36 StVO gestattet - anders als Abs. 1 dieser Vorschrift (BGHSt. 32, 248, 251 ff.; Senatsbeschluß vom 30. März 1994 in DAR 1994, 330 = NZV 1994, 408 [L] = JMBI. NW 1994, 238 = VM 1994, 76; jeweils m.w.N.) - auch Anhalteweisungen wegen Zielen, die über die konkrete Verkehrsregelung und die Beseitigung aktueller Verkehrsbeeinträchtigungen hinausgehen (BGHSt. 32, 248, 253; Senatsbeschluß vom 29. Januar 1981 - 5 Ss (OWi) 733/80 - 34/81 I). Nicht erfaßt sind lediglich Weisungen, die ausschließlich zum Zwecke der Verfolgung des Betroffenen wegen einer Straftat oder Verkehrsordnungswidrigkeit dienen (BGH a.a.O., S. 255; Mühlhaus-Janiszewski a.a.O., Rn. 12; Jagusch-Hentschel a.a.O., Rn. 24 m.w.N.). Es ist jedoch gerichtsbekannt, daß Polizeibeamte in solchen Fällen auch prüfen, ob der betroffene Verkehrsteilnehmer im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis ist. Die Aufforderung zum Anhalten sollte damit zugleich eine Kontrollmaßnahme im Sinne des § 36 Abs. 5 StVO ermöglichen; es handelte sich deshalb um eine von dem Angeklagten zu befolgende Weisung (Senatsbeschluß vom 29. Januar 1981 - 5 Ss (OWi) 733/80 - 34/81 I; OLG Düsseldorf [3. Strafsenat] VRS 73, 387 , 388; Jagusch-Hentschel a.a.O., Rn. 24 mwN.; Mühlhaus-Janiszewski a.a.O.).

Gleiches gilt - entgegen der Auffassung der Revisionsbegründung - für die Anweisung zum Verlassen des Fahrzeugs. Die sich aus § 36 Abs. 5 StVO ergebende Weisungsbefugnis des Polizeibeamten deckt alle mit der Verkehrskontrolle verbundenen und ihrer Durchführung dienenden Anweisungen (Mühlhaus-Janiszewski a.a.O., Rn. 12). Hierzu gehört auch die Aufforderung zum Aussteigen (Jagusch-Hentschel a.a.O., Rn. 25).


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Burkhard
Beitrag 28.02.2008, 16:00
Beitrag #13


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Hier die Grundsatzentscheidung des BGH zum Thema.

BGH, Beschluß vom 31.01.1984- Aktenzeichen 4 StR 350/83 (Vorinstanz: OLG Hamm, AG Herford)


Zitat
Gründe:


I.

Der Betroffene befuhr mit seinem Personenkraftwagen eine innerörtliche Straße mit der überhöhten Geschwindigkeit von mindestens 65 km/h. Ein Polizeibeamter in Zivil forderte ihn deshalb beim Halt an einer Rotlicht zeigenden Ampel auf, hinter der Kreuzungsanlage auf dem Standstreifen anzuhalten, weil er ihn wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung ansprechen wollte. Der Betroffene, der den Polizeibeamten als solchen erkannte und die Aufforderung verstand, fuhr jedoch davon.

Das Amtsgericht Herford hat den Betroffenen unter anderem wegen einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung gegen die § 24 StVG, § 36 Abs. 1 und 5 StVO, § 49 Abs. 3 Nr. 1 StVO mit einer Geldbuße belegt.

Der zur Entscheidung berufene 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm möchte die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen diese Verurteilung verwerfen. Er vertritt die Auffassung, der Polizeibeamte sei zur Erteilung der Weisung befugt und diese sei auch verbindlich gewesen, denn Weisungen im Sinne von § 36 Abs. 1 StVO seien nicht nur Maßnahmen, die ausschließlich zur Regelung eines konkreten Verkehrsvorgangs ergingen, sondern auch solche, die im Rahmen der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten erteilt würden.

An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich der vorlegende Senat des Oberlandesgerichts Hamm gehindert durch den Beschluß des Oberlandesgerichts Köln vom 3. August 1982 (VRS 64, 59 = VerkMitt 1983, 67), in dem die Anwendbarkeit des § 36 Abs. 1 StVO auf Weisungen eines Polizeibeamten verneint wird, die lediglich die Ahndung einer Verkehrsordnungswidrigkeit bezwecken.

Der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat mit Beschluß vom 28. April 1983 (NStZ 1983, 513) die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt:

"Fallen unter § 36 Abs. StVO nur solche Weisungen eines Polizeibeamten, die zur Regelung eines konkreten Verkehrsvorgangs ergehen oder sind sie für den Adressaten auch dann verbindlich und bei Nichtbefolgung bußgeldbewehrt, wenn sie zum Zwecke der Ahndung einer Verkehrsordnungswidrigkeit erteilt werden?"


II.

Die Vorlegungsvoraussetzungen sind gegeben (§ 121 Abs. 2 GVG, § 79 Abs. 3 OWiG). Es liegen abweichende Entscheidungen der Oberlandesgerichte zu der Frage vor, ob die Mißachtung der nach § 36 Abs. 1 StVO erteilten Weisung eines Polizeibeamten an einen Verkehrsteilnehmer bußgeldbewehrt ist, wenn diese allein der Ahndung einer Verkehrsordnungswidrigkeit dienen soll.

Die vom vorlegenden Gericht ersichtlich stillschweigend gebilligte Rechtsauffassung des Amtsgerichts, der Betroffene habe sich mit seiner Überzeugung, er müsse den Weisungen eines Polizeibeamten in Zivil keine Folge leisten, lediglich in einem "unbeachtlichen Rechtsirrtum", also in einem vermeidbaren Verbotsirrtum (§ 11 Abs. 2 OWiG) befunden, ist vertretbar. Sie ist schon deshalb vom Senat hinzuzunehmen.


III.

In der Sache vermag der Senat die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts nicht zu teilen.

1.

Die einem Verkehrsteilnehmer von einem Polizeibeamten erteilte Weisung, an einer bestimmten Stelle anzuhalten, ist als Akt staatlicher Hoheitsgewalt grundsätzlich rechtsverbindlich und daher zu befolgen. Dies gilt auch für eine Weisung, die allein zum Zweck der Verfolgung - und eventuellen sofortigen Ahndung (§ 27 StVG) - einer Verkehrsordnungswidrigkeit gegeben wird. Das Recht des Polizeibeamten, eine solche Anordnung zu treffen, und die Pflicht des Verkehrsteilnehmers, sie zu befolgen, ergeben sich allerdings nicht aus der Straßenverkehrsordnung. Ermächtigung und Verpflichtung folgen vielmehr aus dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG). Dessen § 53 Abs. 1 bestimmt, daß die Beamten des Polizeidienstes nach pflichtgemäßem Ermessen Ordnungswidrigkeiten zu erforschen und dabei alle unaufschiebbaren Anordnungen zu treffen haben, um die Verdunklung der Sache zu verhüten; bei der Erforschung von Ordnungswidrigkeiten haben sie dieselben Rechte und Pflichten wie bei der Verfolgung von Straftaten. Da für das Bußgeldverfahren sinngemäß die Vorschriften der Strafprozeßordnung gelten (§ 46 Abs. 1 OWiG), findet auch § 163b StPO entsprechende Anwendung (OLG Köln NJW 1982, 296; Göhler, OWiG 7. Auflage § 53 Rdn. 23). Danach können die Beamten des Polizeidienstes gegen den einer Ordnungswidrigkeit Verdächtigen zur Feststellung seiner Identität die erforderlichen Maßnahmen treffen. Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darf der Verdächtige festgehalten werden, wenn die Feststellung seiner Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich wäre. Ein Verstoß gegen die aus § 53 OWiG, § 163b StPO sich ergebenden Pflichten des Verkehrsteilnehmers ist aber nicht bußgeldbewehrt.

2.

Der bußgeldbewehrte § 36 StVO regelt andere Fälle. Nach § 36 Abs. Satz 1 StVO sind die Weisungen der Polizeibeamten zu befolgen. Irgendeine Einschränkung nach dem Regelungszweck dieser polizeilichen Einzelverfügungen enthält der Wortlaut der Bestimmung nicht. Maßgebend für ihre Auslegung ist die der Straßenverkehrsordnung als einer Rechtsverordnung zugrunde liegende Ermächtigungsnorm des § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG, die Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung bestimmt (Art. 80 Abs. 1 GG) und damit den zulässigen Rahmen der Regelung absteckt.

a)
§ 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG ermächtigt den Bundesminister für Verkehr, Rechtsverordnungen über "die sonstigen zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit auf den öffentlichen Wegen oder Plätzen ... erforderlichen Maßnahmen über den Straßenverkehr" zu erlassen. Wesentliches Merkmal einer solchen Regelung ist also, daß sie der Ordnung und Sicherheit im öffentlichen Verkehrsraum zu dienen bestimmt ist (vergleiche BVerfGE 26, 259 , 262 f; BVerfGE 40, 371 , 381). Dementsprechend ist auch § 36 Abs. 1 Satz 1 StVO auszulegen. Die Vorschrift kann nur solche Weisungen im Auge haben, die darauf abzielen, Ordnung und Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs zu gewährleisten (vergleiche OLG Zweibrücken VRS 61, 466, 467). Diesem Regelungszweck unterfallen zum einen solche Weisungen, die einem gegenwärtigen Verkehrsbedürfnis durch die Regelung des Verkehrs im Einzelfall dienen sollen (vergleiche Cramer, Straßenverkehrsrecht Bd. I 2. Auflage § 36 StVO Rdn. 13; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht 27. Auflage § 36 StVO Rdn. 19; Full/Möhl/Rüth, Straßenverkehrsrecht § 36 StVO Rdn. 2; Drees/Kuckuk/Werny, Straßenverkehrsrecht 4. Auflage § 36 StVO Rdn. 1; Booß, Straßenverkehrsordnung 3. Auflage § 36 StVO Anmerkung 1, 3 und überwiegende Auffassung in der Rechtsprechung; a. A. nur OLG Hamm - 2. Strafsenat - VRS 54, 70; OLG Zweibrücken VRS 61, 466 und der vorlegende Senat des OLG Hamm). Zum anderen werden jedoch auch solche Weisungen erfaßt, die dadurch unmittelbar verkehrsbezogen sind, daß sie die von einem Verkehrsteilnehmer ausgehende - andauernde - Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit beseitigen sollen. Ob dieser Verkehrsteilnehmer im fließenden Verkehr an Ort und Stelle angehalten oder aber angewiesen wird, in der Nähe an einer für den Verkehr ungefährlichen Stelle anzuhalten, ist ohne Bedeutung. Denn jede derartige Weisung dient der Ordnung und Sicherheit im Straßenverkehr, weil sie die Ausschaltung eines verkehrsuntüchtigen Fahrers oder Fahrzeugs von der weiteren Teilnahme am Verkehr zum Ziel hat.


b)
Nicht vom Regelungszweck des § 36 Abs. 1 Satz 1 StVO umfaßt sind demnach solche Weisungen, die keinem augenblicklichen Bedürfnis zur Regelung des Straßenverkehrs oder zur Erhaltung seiner Sicherheit entspringen. Das ist nach einhelliger Meinung (vergleiche OLG Hamm VRS 51, 226 ff; OLG Köln VerkMitt 1981, 39; OLG Zweibrücken VRS 61, 466, 467; Jagusch/Hentschel a.a.O. § 36 StVO Rdn. 24) der Fall bei Anhalteweisungen, die der Aufklärung einer allgemeinen, mit dem Straßenverkehr nicht zusammenhängenden Straftat dienen sollen; für derartige Maßnahmen muß auf die in der Strafprozeßordnung festgelegten verfahrensrechtlichen Eingriffsbefugnisse - beispielsweise die § 111 StPO, § 127 StPO, § 163b StPO - zurückgegriffen werden. Dasselbe gilt für die Anhalteweisung gegenüber einem Verkehrsteilnehmer, der wegen einer bereits begangenen, in ihrer verkehrsbeeinträchtigenden Wirkung jedoch nicht fortdauernden Verkehrsordnungswidrigkeit verfolgt werden soll. In diesem Fall muß die Weisung auf § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 163b StPO gestützt werden. Ihre Mißachtung ist nicht nach § 36 Abs. 1 StVO, § 49 Abs. 3 Nr. 1 StVO, § 24 StVG mit Geldbuße bedroht.


c)
Die Systematik des § 36 StVO spricht ebenfalls für diese Auslegung. Die Gegenüberstellung von Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 bis 5 und des Absatzes 5 der Bestimmung macht deutlich, daß Absatz 1 nur eine Rechtsgrundlage für die konkrete Verkehrsregelung und die Beseitigung von Verkehrsbeeinträchtigungen enthält, während Absatz 5 "auch" eine Anhalteweisung wegen darüber hinausgehender Ziele - Verkehrskontrolle und Verkehrszählung - gestattet (vergleiche OLG Koblenz VRS 61, 68, 69 und 392; Cramer a.a.O. § 36 StVO Rdn. 13; Janiszewski NStZ 1983, 514 ).

3.

Auch auf anderen Gebieten des Rechts der Ordnungswidrigkeiten wird die Befolgung rein repressiv-polizeilicher Anordnungen nicht durch Bußgeldandrohung erzwungen. Den - möglicherweise - Betroffenen werden zwar für Kontrollmaßnahmen der Polizei Duldungs- und Mitwirkungspflichten auferlegt, die bußgeldbewehrt sind (vergleiche z. B. § 22 Abs. 1 und 2 des Gaststättengesetzes, § 28 Abs. 1 Nr. 11 des Gaststättengesetzes; § 43 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes, § 54 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes; § 10 Abs. 3 und 4 des Waschmittelgesetzes, § 11 Abs. 1 Nr. 5 des Waschmittelgesetzes; § 34 Abs. 2 Nr. 4 der Gewerbeordnung in Verbindung mit § 4 Abs. 2 der Verordnung über den Geschäftsgebrauch der gewerblichen Pfandleiher, § 144 Abs. 2 Nr. 1 der Gewerbeordnung in Verbindung mit § 12a Nr. 3 der genannten Verordnung). Die Erfüllung dieser Pflichten soll jedoch nicht der Verfolgung und Ahndung bereits begangener Verstöße, sondern der allgemeinen Überwachung von Betrieben und Waren dienen. In allen diesen Fällen handelt es sich um präventiv-polizeiliche Maßnahmen; rein repressiv-polizeiliche Maßnahmen finden sich in den genannten Regelungen nicht. Ein - möglicherweise - Betroffener ist nicht verpflichtet, bei der Erforschung und Ahndung einer von ihm begangenen, beendeten Ordnungswidrigkeit aktiv mitzuwirken. Daß der Gesetzgeber eine solche Pflicht nicht bestimmen wollte, zeigen die von ihm eingeführten Auskunftsverweigerungsrechte für den Fall der Gefahr der Selbstbelastung (vergleiche § 22 Abs. 3 des Gaststättengesetzes, § 10 Abs. 6 des Waschmittelgesetzes; § 58 Abs. 3 des Weingesetzes).

Dieser Grundsatz würde im Recht der Verkehrsordnungswidrigkeiten durchbrochen, wenn man einen Verkehrsteilnehmer durch Androhung einer Geldbuße zwingen wollte, allein wegen der Verfolgung einer bereits beendeten Verkehrsordnungswidrigkeit auf eine polizeiliche Weisung hin anzuhalten.

4.

Zu der Auslegung des § 36 Abs. 1 Satz 1 und des Abs. 5 StVO ist noch zu bemerken:

a)

Bis zum Inkrafttreten der Straßenverkehrsordnung vom 29. März 1956 (BGBl I 327 = VkBl 1956, 476) beurteilte sich das polizeiliche Haltezeichen außerhalb der Verkehrsregelung nach den allgemeinen landesrechtlichen Bestimmungen über die Befugnisse der Polizei. Es erschien dem Verordnungsgeber daher geboten, das Recht der Polizei zum Anhalten, z. B. zu Verkehrskontrollen oder Verkehrszählungen, in Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG einheitlich zu regeln (vergleiche Begründung der Verordnung zur Änderung von Vorschriften des Straßenverkehrsrechts vom 14. März 1956 in VkBl 1956, 418, 424). Zu diesem Zweck hat der Verordnungsgeber durch Art. 2 Nr. 2 der genannten Verordnung (BGBl 1956 I 199) die Vorschrift des § 2a StVO in die Straßenverkehrsordnung eingefügt, wonach den Weisungen der Polizeibeamten zum Anhalten, insbesondere zur Prüfung der nach den Verkehrsvorschriften mitzuführenden Papiere, des Zustandes, der Ausrüstung und der Beladung des Fahrzeugs zu folgen war. Die Bestimmung erfaßte damit auch das Anhalten eines Verkehrsteilnehmers zum Zwecke der Verfolgung einer Verkehrsordnungswidrigkeit (BGH - VI. Zivilsenat - VRS 32, 321 , 323); die genannten Anwendungsfälle waren, wie die Einleitung durch das Wort "insbesondere" zeigt, lediglich Beispiele. Bei Einführung der gegenwärtig geltenden Straßenverkehrsordnung vom 16. November 1970 (BGBl I 1565 = VkBl 1970, 735) sollte in Verfolgung dieser Regelung durch § 36 Abs. 5 "in knapper Form" der Inhalt des § 2a StVO 1956 wiedergegeben werden (vergleiche Begründung zur Straßenverkehrsordnung vom 16. November 1970 in VkBl 1970, 797, 817).

b)

Daraus ergibt sich, daß eine Anhalteweisung zur Verfolgung einer beendeten Verkehrsordnungswidrigkeit nicht auf § 36 Abs. 1 StVO gestützt werden kann. Sie könnte allerdings auch in § 36 Abs. 5 StVO keine Rechtsgrundlage finden, nachdem der Verordnungsgeber das Wort "insbesondere" in § 2a StVO a. F. durch das Wort "auch" ersetzt hat (vergleiche Janiszewski NStZ 1983, 514 ) und so lediglich diese dort eindeutig bezeichneten Ausnahmen von der Grundregel des Absatz 1 zulassen wollte. Deshalb könnte der Senat der gegenteiligen Auffassung, nämlich der Anwendung des § 36 Abs. 5 StVO auf den der Vorlage zugrunde liegenden Sachverhalt (vergleiche Dvorak JR 1982, 446 , 448; Jagusch/Hentschel, § 36 StVO Rdn. 24), nicht folgen. Der Senat hat jedoch davon abgesehen, diese Rechtsauffassung in die Beantwortung der Vorlegungsfrage aufzunehmen, da diese ausdrücklich auf die Anwendbarkeit des § 36 Abs. 1 StVO auf den vorliegenden Sachverhalt beschränkt ist.


IV.

Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu entscheiden:

"Weisungen eines Polizeibeamten gemäß § 36 Abs. 1 StVO, die zur Regelung eines konkreten Verkehrsvorgangs ergehen, sind für die Adressaten auch dann verbindlich und bei Nichtbefolgung bußgeldbewehrt, wenn sich zum Zwecke der Ermöglichung der Ahndung einer Verkehrsordnungswidrigkeit erteilt werden".


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Burkhard
Beitrag 28.02.2008, 16:21
Beitrag #14


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So und die letzte Entscheidung

OLG Düsseldorf, Beschluß vom 30.03.1994- Aktenzeichen 5 Ss (OWi) 74/94 - (OWi) 68/94 I

Zitat
Gründe:

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen "fahrlässiger Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 36 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 1 StVO, 24 StVG" eine Geldbuße von 100 DM festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er begehrt. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Rechtsbeschwerde wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen (§ 80 Abs. 1 OWiG). Sie hat mit der Sachrüge Erfolg und führt zum Freispruch des Betroffenen von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf. Eines Eingehens auf die Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.


I.

Das Amtsgericht hat festgestellt:

Der Betroffene hielt am 05. Dezember 1992 gegen 12.03 Uhr mit seinem PKW in R auf der P-straße in Höhe des Eingangs der Post auf der Fahrbahn an und behinderte den fließenden Verkehr. Der Polizeibeamte forderte deshalb den Betroffenen auf, sein Fahrzeug wegzusetzen bzw. unverzüglich weiterzufahren. Der Betroffene kam dieser Aufforderung jedoch nur insofern nach, als er sein Fahrzeug auf einen vor der Post befindlichen Behindertenparkplatz fuhr. Als der Zeuge mit dem von ihm geführten Polizeifahrzeug den Block umrundet hatte und erneut die P-straße entlangfuhr, sah er das ordnungswidrig abgestellte Fahrzeug des Betroffenen. Der Zeuge M ließ einen Abschleppwagen herbeirufen. Bevor dieser eintraf, kam der Betroffene aus der Post. Wegen des Parkens auf dem Behindertenparkplatz wurde ihm ein Verwarnungsgeld auferlegt.


II.

Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen der im Urteilstenor genannten Zuwiderhandlung nicht.


1. a)
Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 StVO sind Weisungen der Polizeibeamten zu befolgen. Eine - bußgeldbewehrte - Weisung im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn sie aus einem augenblicklichen Verkehrsbedürfnis heraus zur Regelung des Straßenverkehrs oder zur Beseitigung einer andauernden Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit einem bestimmten Verkehrsteilnehmer erteilt wird (BGHSt 32, 248 ff., Senatsbeschluß in VRS 72, 296 = VD 1987, 90 m.w.N.; Mühlhaus/Janiszewski, StVO, 13. Aufl., § 36 Rdnr. 2).


b)
Weisungen in diesem Sinne sind abzugrenzen von denjenigen Anordnungen eines Polizeibeamten, die nur einen verkehrswidrigen Zustand beseitigen oder verhüten sollen. Solche Anordnungen beabsichtigen nicht, eine besondere, konkrete Verkehrssituation unmittelbar zu regeln. Sie zielen allein darauf ab, eine allgemein geltende Regel durchzusetzen. Sie fallen damit nicht unter § 36 Abs. 1 Satz 1 StVO. Diese Vorschrift soll es nämlich der Verkehrsbehörde ermöglichen, neue, nicht voraussehbare und durch allgemeine Vorschriften nicht zu lösende Verkehrssituationen durch ein sofortiges Eingreifen eines gegenwärtigen, mit den Verkehrsverhältnissen vertrauten Polizeibeamten beseitigen zu können. Es besteht auch keine Notwendigkeit, die zur Beseitigung oder Verhütung eines verkehrsordnungswidrigen Verhaltens erteilte Anordnung unter § 36 Abs. 1 Satz 1 StVO zu subsumieren und damit für den Fall der Weigerung eine Geldbuße anzudrohen (§ 49 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Dem Polizeibeamten stehen mit anderen verwaltungsrechtlichen Zwangsmaßnahmen (z.B. Abschleppen eines falsch parkenden Fahrzeugs) ausreichende Sanktionsmittel zur Verfügung (Senatsbeschluß aaO. m.w.N., Senatsbeschluß in DAR 1980, 378 = VRS 60, 149 = StVE Nr. 10 zu § 36 StVO; Mühlhaus/Janiszewski aaO., § 36 Rdnr. 4 m.w.N.).

2.a)
Die dem Betroffenen nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils von dem Polizeibeamten M erteilte Aufforderung, sein Fahrzeug wegzusetzen bzw. unverzüglich weiterzufahren, ergab sich aus dem Erfordernis, eine Beeinträchtigung des Verkehrsflusses zu beseitigen. Die Anordnung war demnach unmittelbar verkehrsbezogen und beinhaltete deshalb eine Weisung im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 1 StVO.


b)
Eine darüber hinausgehende Anordnung, den PKW im Bereich der Post nicht ordnungswidrig abzustellen, enthielt die Weisung des Zeugen nicht. Selbst wenn man davon ausginge, würde eine derartige Anordnung nicht dem Begriff der Weisung im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 1 StVO entsprechen; denn eine solche Aufforderung erginge nicht aus Anlaß eines augenblicklichen Verkehrsbedürfnisses, sondern nur, um die Einhaltung einer allgemein geltenden Regel zu sichern (vgl. Senatsbeschlüsse aaO. m.w.N.; Mühlhaus/Janiszewski aaO. m.w.N.).

3.
Der in der Anordnung des Zeugen enthaltenen Weisung hat der Betroffene nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils entsprochen. Er hat sein Fahrzeug weggefahren und dadurch die Beeinträchtigung des Verkehrsflusses beseitigt. Indem er anschließend sein Fahrzeug auf dem Behindertenparkplatz abgestellt hat, hat er zwar ordnungswidrig gehandelt, aber den Verkehrsfluß, dessen Beeinträchtigung der Zeuge durch seine Anordnung beenden wollte, nicht weiter behindert.

Da der Betroffene demnach nicht gegen § 36 Abs. 1 Satz 1 StVO verstoßen hat, kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Es unterliegt der Aufhebung (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 353 Abs. 1 StPO ).


Da weitere Feststellungen, die zu einer Verurteilung führen könnten, nicht in Betracht kommen, ist der Betroffene freizusprechen (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 354 Abs. 1 StPO).


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GM_
Beitrag 28.02.2008, 17:17
Beitrag #15


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Vielen Dank für die Mühe!

Zitat (Burkhard @ 28.02.2008, 15:30) *
Der Angeklagte war nach § 36 Abs. 5 S. 2 StVO a.F. verpflichtet, der Aufforderung der Polizeibeamten zum Anhalten und Aussteigen zu folgen.



Zitat (Burkhard @ 28.02.2008, 16:00) *
Nicht vom Regelungszweck des § 36 Abs. 1 Satz 1 StVO umfaßt sind demnach solche Weisungen, die keinem augenblicklichen Bedürfnis zur Regelung des Straßenverkehrs oder zur Erhaltung seiner Sicherheit entspringen. Das ist nach einhelliger Meinung (vergleiche OLG Hamm VRS 51, 226 ff; OLG Köln VerkMitt 1981, 39; OLG Zweibrücken VRS 61, 466, 467; Jagusch/Hentschel a.a.O. § 36 StVO Rdn. 24) der Fall bei Anhalteweisungen, die der Aufklärung einer allgemeinen, mit dem Straßenverkehr nicht zusammenhängenden Straftat dienen sollen; für derartige Maßnahmen muß auf die in der Strafprozeßordnung festgelegten verfahrensrechtlichen Eingriffsbefugnisse - beispielsweise die § 111 StPO, § 127 StPO, § 163b StPO - zurückgegriffen werden. Dasselbe gilt für die Anhalteweisung gegenüber einem Verkehrsteilnehmer, der wegen einer bereits begangenen, in ihrer verkehrsbeeinträchtigenden Wirkung jedoch nicht fortdauernden Verkehrsordnungswidrigkeit verfolgt werden soll. In diesem Fall muß die Weisung auf § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 163b StPO gestützt werden. Ihre Mißachtung ist nicht nach § 36 Abs. 1 StVO, § 49 Abs. 3 Nr. 1 StVO, § 24 StVG mit Geldbuße bedroht.



Zitat (Burkhard @ 28.02.2008, 16:21) *
Da der Betroffene demnach nicht gegen § 36 Abs. 1 Satz 1 StVO verstoßen hat, kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Es unterliegt der Aufhebung (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 353 Abs. 1 StPO ).


Also ein Fall in dem das Bußgeld bejaht und zwei Fälle in denen das Bußgeld verneint wurde.


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Burkhard
Beitrag 28.02.2008, 17:27
Beitrag #16


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Deshalb schrieb ich ja, dass es schwer ist, eine Prognose abzugeben. Die Frage wird wohl immer sein, wie stellt es der Polizeibeamte dar... whistling.gif

Aber, die Entscheidungen zeigen auch, dass hier sehr wohl differenziert wird und es hin und wieder Sinn macht, den Rechtsweg zu beschreiten. Hierzu bedarf es allerdings eines sehr guten RA. wavey.gif


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Uwe W
Beitrag 29.02.2008, 20:22
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Ich würde das ganze so interpretieren:

damit die Missachtung des Anhaltegebots sanktionslos bleibt, müssen zwei Umstände vorliegen:

- der Verkehrsteilnehmer muss zur Zeit regelkonform fahren/halten/warten; das war in dem vom BGH entschiedenen Fall ja so: angehalten werden sollte er an einer roten Ampel, d.h. der Geschwindigkeitsverstoß war beendet.

- es darf sich nicht um eine allgemeine Verkehrskontrolle handeln. Hier würde ich einfach mal laienhaft meinen, dass ein Polizeibeamter in Zivil (wie im BGH-Fall) keine allgemeinen Verkehrskontrollen vornehmen sollte. Insofern wäre es nach aller Lebenserfahrung unglaubwürdig, wenn ein Zivilbeamter (der genauso wie ein uniformierter OWis und Straftaten verfolgen darf/muss) behaupten würde, er habe das Haltgebot auch im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle durchgeführt.

Bei einem mit uniformierten Beamten besetzten Kontrollpunkt nach einem mobilen Geschwindigkeitsmesspunkt ist es dagegen schon vorstellbar, dass hier auch allgemeine Verkehrskontrollen durchgeführt werden.


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"Alle Mitgliedstaaten hätten Grund sich zu beklagen. Skouris betont, dass gerade dies beweise, dass der EuGH seine Arbeit gut mache."
(Interview mit Vassilios Skouris am 20.04.06 im ORF)
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