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> Der Mythos "Aussage gegen Aussage"
Andreas
Beitrag 10.08.2007, 08:24
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QUELLTEXT
[url=http://www.verkehrsportal.de/board/index.php?showtopic=56713]Der Mythos "Aussage gegen Aussage"[/url]



Der User @Luxfur hat in diesem Thread eine Ausarbeitung zum Thema "Aussage gegen Aussage" erstellt.

Zitat
Aussage gegen Aussage
...oder: Totgesagte leben länger.


I. Vorwort
II. Herkunft des Irrglauben
III. Grundsätzliches zum Richter
IV. Tatsächliche Sachlage
a) im Strafverfahren
b) im Zivilverfahren
V. Unterschiedliche Zeugenqualitäten


I. Vorwort
Da können die mir garnichts, weil da steht es Aussage gegen Aussage. So oder so ähnlich hat sicherlich jeder einmal einen Bekannten, Freund, Freund des Bekannten, oder ... erklären gehört, warum er im ihm anhängigen Verfahren ja garnichts zu befürchten hätte. Woher kommt aber diese urban legend? Und ist nicht vielleicht doch ein Fünkchen Wahrheit dran? Dieser Frage wollen wir uns im Folgenden annehmen.

II. Herkunft des Irrglauben
Woher die Annahme, ein Richter müsse bei widerstreitenden, gleichermaßen unbelegbaren, Aussagen ein Verfahren einstellen (Strafverfahren) bzw. zwischen beiden Parteien für einen "Gleichstand" sorgen (Zivilverfahren) ist recht eindeutig: Wir lernen es seit unserer Kindheit, dass unsere Eltern i.A. wenn wir uns mit unseren Geschwistern balgen, Probleme haben zu entscheiden wer nun die Wahrheit sagt.
Diese Grundeinstellung, ein überzeugendes Dementi unsererseits würde die Einlassung des Gegenübers schon entkräften, begleitet uns auch weiter - wann kommt es denn schonmal vor, dass wir an jmd. geraten der mehr tuen kann, als sich beide Seiten anzuhören um festzustellen, dass erschwingliche Lügendetektoren im Hosentaschenformat eine feine Sache wären?
Kurzum: Wir lernen zu lügen, und sehen, dass eine überzeugend vorgetragene Lüge extrem effektiv sein kann. Und nichts anderes ist die "Aussage gegen Aussage"-Situation: Zwei Schilderungen eines Sachverhaltes - eine davon die Unwahrheit.

III. Grundsätzliches zum Richter
Allerdings ist vor Gericht allerdings eine Ausnahmesituation gegeben. Damit ist nicht gemeint, dass Lügen hier nicht nur zu sozialen Sanktionen führen kann, weil es missbilligt ist, sondern hier gehen mit einer Falschaussage, auch wenn diese nicht unter Eid geleistet wird (§153 StGB) empfindliche Strafen einher - selbiges natürlich erst recht für den Meineid (§154 StGB).
Vorallem befinden wir uns vor Gericht in einer Situation in der jemand eine Legitimation hat sich für eine der präsentierten Versionen zu entscheiden. Er ist dabei unabhängig (Art. 97 I GG) und nur an "Recht und Gesetz gebunden" (Art. 20 III 2. Alt. GG).

IV. Tatsächliche Sachlage
Nun ergibt sich daraus, dass wir vor jemandem sitzen der das Recht hat, zu entscheiden wem er was glauben möchte. Dieser Grundsatz der sog. freien Beweiswürdigung zieht sich durch das gesamte Prozessrecht. Allerdings gibt es überall, wo es ein "grundsätzlich" gibt auch das "aber". Dabei handelt es sich i.a.R. um augenfällige Unmöglichkeiten -auch wenn der Richter noch so fest der Überzeugung ist, hier wurde jmd. über 5km Distanz mit einem Blasrohr verletzt, so hat er seine Entscheidung im Einklang mit den entgegenstehenden naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu treffen- oder um verfahrensrechtliche Fragen, die an dieser Stelle unerheblich sein sollen.
Im Folgenden wollen wir den Standartfall betrachten, zwei widerstreitende Aussagen, die beide eine potentiell korrekte Schilderung eines Sachverhaltes darstellen.

a) im Strafverfahren
Zitat
Im Strafrechtprozessrecht kommt es gemäß §261 StPO nur auf die Überzeugung des Gerichts an. D.h. das Gericht kann aus den Beweisen mögliche Schlüsse ziehen, die aber nicht zwingend sind und es wird nicht von anderen möglichen Schlüssen eingeschränkt. D.h. es ist nicht notwendig, dass sich aus den Beweisen zwingend nur eine Möglichkeit ergiebt (Roxin, Strafverfahrensrecht, § 15 Rn. 13ff). Dieser Grundsatz wird aber insoweit eingeschränkt, als verlangt wird, dass der Urteilsfindungsprozess von anderen Richtern nachvollzogen werden kann (Roxin, Strafverfahrensrecht, § 15 Rn. 13; ähnlich BGH NStZ 8, 33; BGH StrV 82, 256; BGH NStZ 86, 373), und dass eine mindestens hohe objektive Wahrscheinlichkeit der Sachverhaltsannahmen des Gerichts mit der subjektiven Überzeugung einhergeht (Roxin, aaO).
Quelle: lexexakt.de
Heißt: Ein Richter kann aus einem Beweis (Aussagen sind sog. Personenbeweise) im Zuge seiner Beweiswürdigung jeden Schluss ziehen der: objektiv hochwahrscheinlich ist und auf keine derart abwegige Art gebildet wurde, dass ein anderer Richter ihn nicht nachvollziehen könnte.
Sind diese Erfordernisse erfüllt, so ist die Abwägung des Richters statthaft.
Ist es dem Richter nicht möglich, einen der Beweise als glaubwürdig zu erkennen, so liegt der sog. Fall des non liquet vor, die Streitfrage ist nicht gelöst. Im Strafverfahren ist damit der Verfahrensausgang zu Gunsten des Angeklagten entsprechend des Grundsatzes "in dubio pro reo" verbunden (d.h. Verfahrenseinstellung, Klageabweisung oder Freispruch).

b) im Zivilverfahren
Im Zivilverfahren findet sich die Bestimmung zur freien Beweiswürdigung im §286 ZPO:
Zitat
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
Mit "in diesem (Zivilprozessordnung, ZPO) Gesetz bezeichneten Fällen" ist z.B. die Urteilskraft von öffentlichen Urkunden gemeint.
§286 I ZPO bestimmt, dass der Richter, nach Abwägung aller ihm zur Verfügung stehenden Informationen und Aussagen, einer der Parteien Recht gibt - ihre Behauptung für wahr erkennt.
Es gilt grundsätzlich, dass der der einen Anspruch geltend machen will das Vorliegen dieses Anspruches zu beweisen hat. Kann derjenige, bei dem die Beweislast liegt (i.a.R. der Kläger), keinen Beweis für die Existenz seines Anspruchs liefern (s.o., non liquet Fall), so verliert er den Prozess (in diesem Punkt).


Wir können also festhalten, dass eine "Aussage gegen Aussage"-Situation, bei gleichgewichtiger Betrachtung beider/aller Aussagen je nach Verfahrensart verschiedene Auswirkungen haben kann. Es ist weder so, dass beim Vorliegen zweier widersprüchlicher Aussagen ein Remis entstünde, noch so, dass diese Situation keinerlei Auswirkungen hätte. Das wird offenbar aus der lapidaren "Aussage gegen Aussage gibt es nicht"-Antwort, die es regelmäßig zu hören gibt, bisweilen geschlossen.


V. Unterschiedliche Zeugenqualitäten
Was in den meisten Fällen mit dem Ausspruch "Aussage gegen Aussage gibt es nicht" gemeint ist, ist der Umstand dass Aussagen nicht gegeneinander "aufgerechnet" werden. Nun kann es jedoch durchaus vorkommen, dass 6 Angeklagte, die gemeinschaftlich ein Verbrechen begingen, eine andere Aussage tätigen als ein einzelner Zeuge. Hier zeigt sich, was "freie Beweiswürdigung" tatsächlich bedeutet:
Scheint dem Richter die Schilderung eines glaubwürdigen Zeugen schlüssiger als die eines halben Dutzend anderer, so kann er ihr z.N. der anderen Glauben schenken und sein Urteil auf eben dieser Aussage aufbauen.
Neben der Quantität der -brauchbaren und gleichwertigen- Aussagen ist also vorallem die Qualität ausschlaggebend. Diese wird von div. Faktoren beeinflusst. Weniger glaubwürdig sind aus der Natur der Sache oftmals:
-Einlassungen des Angeklagten/Betroffenen/Beklagten: Hier besteht ein Interesse eine zum eigenen vorteil gereichende und von der Wahrheit abweichende Aussage zu tätigen - das weiß auch ein Richter. Darüber hinaus ist ein Angeklagter nicht zur Wahrheit verpflichtet.
-Einlassungen von Freunden oder Angehörigen: Auch hier könnten potentiell Schutzbehauptungen abgegeben werden, so dass die Glaubhaftigkeit in Mitleidenschaft gezogen werden kann.
-Ein bei der Beobachtung betrunkener Zeuge, bekannte Querulanten, etc. können als Zeugen weniger glaubwürdig sein als Personen mit tadeloser Reputation.
-Einen Sonderfall stellen dabei nach wie vor Beamte im Staatsdienst dar: Sie sind nicht nur als Zeugen zur Wahrheit verpflichtet, sie würden bei einer Straftat gem. §§153, 154 StGB auch ihren Job aufs Spiel setzen - die Annahme, dass dies nicht vorkommen sollte führt zu einem Glaubwürdigkeits-Bonus.



Wir sehen also, die Frage danach welche Aussage ein Richter wie schwer gewichtet hängt von dem Aussagenden selbst, der Schlüssigkeit der Aussage sowie dem Grad der Glaubwürdigkeit der widersprüchlichen Aussage ab.
Sich widersprechende Aussagen können im einen Fall zu einer Verfahrenseinstellung führen - im anderen bewirken sie, allein aus dem Umstand heraus sich gegenüberzustehen, garnichts. Das ist der Regelfall.


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