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> Absehen vom Fahrverbot?, Urteile und Informationen
Rolf Tjardes
Beitrag 03.02.2004, 19:26
Beitrag #1


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QUELLTEXT
[URL=http://www.verkehrsportal.de/board/index.php?showtopic=3660]FAQ: Absehen vom Fahrverbot[/URL]


P.S. "FAQ-Verlinkung": V.g. Code einfach markieren, kopieren und in jeweiliges Posting einfügen - fertig ist der Link :-)
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Rolf Tjardes
Beitrag 03.02.2004, 19:29
Beitrag #2


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Hi :-)

Da hier im Forum immer wieder das Thema "Absehen vom Fahrverbot?" auftaucht, werde ich in dieser FAQ einige Urteile, möglichst im Volltext, vorstellen.

Mit wenigen Worten kann man das Thema leider nicht abhandeln. Ein Blick in die jeweiligen Urteilsbegründungen hilft da schon mehr, um die eigene Situation besser einschätzen zu können...

Gruss
Rolf
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Rolf Tjardes
Beitrag 03.02.2004, 19:30
Beitrag #3


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Absehen vom Fahrverbot (1)

Eine innerörtliche Geschwindigkeits-Überschreitung um 40 km/h während besonders verkehrsarmer Zeit (03:00 Uhr) rechtfertigt auch bei einem Ersttäter trotz beruflicher und wirtschaftlicher Nachteile kein Absehen vom Regel-Fahrverbot.

Rechtsprechung: Beschluss des OLG Karlsruhe; Pressemeldung vom 12.08.2002

Zitat
Anfang November 2001 fuhr die Betroffene - eine 23jährige Sekretärin aus dem süd-badischen Raum - gegen drei Uhr morgens mit ihrem Fahrzeug auf einer Landstraße in Fahrtrichtung Waldshut-Tiengen. Nach dem Ortseingangsschild einer auf der Fahrstrecke liegenden Gemeinde führte die Polizei eine Geschwindigkeitsmessung mittels Laserpistole durch, wobei bei der Betroffenen anstatt der innerorts zulässigen Geschwindigkeit von 50 km/h ein Tempo von 90 km/h gemessen wurde.

Die Bußgeldbehörde des Landratsamtes Waldshut-Tiengen erließ daraufhin gegen die Sekretärin einen Bußgeldbescheid in Höhe von DM 200 - € 102,26 - (weitere Folge: drei Punkte im Verkehrszentralregister in Flensburg) sowie ein einmonatiges Fahrverbot. Nachdem die Betroffene hiergegen Einspruch eingelegt hatte, fand vor dem Amtsgericht Waldshut-Tiengen im Januar 2002 die Verhandlung statt. Dort räumte die Betroffene den Verkehrsverstoß ein, brachte jedoch zu ihrer Rechtfertigung vor, dass sie bislang verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei, es sich am frühen Morgen um eine besonders verkehrsarme Zeit gehandelt habe, daher niemand gefährdet worden wäre und sie überdies den Führerschein für ihre täglichen Fahrten zur Arbeitsstelle benötige. Das Amtsgericht Waldshut-Tiengen ist dieser Argumentation gefolgt und hat unter Erhöhung der Geldbuße auf € 200 von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen.

Die hiergegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsbeschwerde hatte nun Erfolg. Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat klargestellt, dass die vom Amtsgericht angeführten Gründe ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots nicht rechtfertigen können.

Sehe der Bußgeldkatalog - wie dies vorliegend bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von innerorts mehr als 31 km/h der Fall sei - die Verhängung eines Fahrverbots vor, so komme ein Absehen nur dann in Betracht, wenn das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einer Weise abweiche, dass die Verhängung eines Fahrverbots nicht mehr angemessen wäre. Bei den vom Amtsgericht angeführten Gründen handle es sich jedoch insgesamt um Umstände, die mit den in der Bußgeldkatalogverordnung beschriebenen Verhaltensweisen regelmäßig einhergehen und daher einen Ausnahmefall nicht begründen könnten. So gehe die Bußgeldkatalogverordnung grundsätzlich davon aus, dass ein Betroffener verkehrsrechtlich nicht vorbelastet sei. Auch komme es bei der Einstufung, ob bestimmte Verhaltensweisen besonders gravierend seien und deshalb für sie im Bußgeldkatalog ein Fahrverbot vorgesehen werde, nicht auf die Verkehrssituation im Einzelfall an, so dass die geringe Verkehrsdichte zur Nachtzeit vorliegend keine Rolle spiele. Auch seien mit einem Fahrverbot berufliche und wirtschaftliche Nachteile im Regelfalle verbunden, weshalb solche Folgen nur bei Vorliegen eines besonderen Härtefalles ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen könnten.

Ergänzend hat der Senat ausgeführt, dass die im Bußgeldkatalog bestimmten Sanktionen regelmäßig von einer fahrlässigen Tatbegehung ausgehen (§ 1 Abs. 2 BKatV). Vorliegend habe die Betroffene aber vorsätzlich gehandelt, da sie das Ortseingangsschild erkannt und gleichwohl ihre weit überhöhte Geschwindigkeit nicht reduziert habe. Auch dies stehe einem Absehen von einem Fahrverbot entgegen.

Der Senat hat das Urteil daher aufgehoben und zur neuen Verhandlung an das Amtsgericht Waldshut-Tiengen zurückgegeben.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 05. August 2002, 1 Ss 55/02

Hinweis:

Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 d. Straßenverkehrsgesetzes (StVG) kann einem Betroffenen wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG, die er unter grober Verletzung seiner Pflichten als Kraftfahrzeugführer begangen hat und wegen der eine Geldbuße festgesetzt worden ist, für die Dauer von einem bis zu drei Monaten verboten werden, Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art im Straßenverkehr zu führen. Eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers gem. § 4 Abs. 1 der Bußgeldkatalogverordnung (BkatV) liegt in der Regel vor, wenn ein dort genannter Regelfall verwirklicht wird. Die Erfüllung dieses Tatbestandes weist auf das Vorliegen eines groben Verstoßes i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG hin, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf. Ausnahmsweise kann von der Anordnung ggf. unter Erhöhung des Bußgeldes (§ 4 Abs. 4 BKatV) abgesehen werden, wenn greifbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich die Tat von den genannten Regelfällen zugunsten des Betroffenen unterscheidet und hierdurch die tatbestands- oder die rechtsfolgenbezogene Vermutung entkräftet wird.
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Rolf Tjardes
Beitrag 03.02.2004, 22:47
Beitrag #4


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Absehen vom Fahrverbot (2)

Eine starke emotionale Bewegung (Teilnahme an einer Beerdigung) und die mangelnde Vertrautheit mit den technischen Besonderheiten eines Pkw rechtfertigen es nicht, bei einem Rotlichtverstoß von der Anordnung des Regelfahrverbots abzusehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 BkatV).

Rechtsprechung: Beschluss des OLG Frankfurt/M

Zitat
I.
Das Amtsgericht Gießen hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Nichtbeachtens des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage eine Geldbuße von 500,- DM festgesetzt. Die Staatsanwaltschaft Gießen erhebt mit ihrer Rechtsbeschwerde die Sachrüge und wendet sich ausschließlich, gegen die Nichtverhängung eines Fahrverbots. Das von der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

II.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hat der Betroffene als Führer des PKW ... mit dem amtlichen Kennzeichen ... am 28.Oktober 2000 gegen 16.15 Ohr an der Kreuzung ... in ... das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage nicht beachtet und dadurch einen Verkehrsunfall verursacht. Der Betroffene hat sich dahingehend eingelassen, er sei in Gedanken gewesen, da er gerade von der Beerdigung einer ihm sehr nahe stehenden Person gekommen sei und infolge des gerade Erlebten nicht die nötige Aufmerksamkeit habe walten lassen. Zudem sei er zur Tatzeit mit den technischen Besonderheiten des PKW Srnart, den er erst seit einer Woche fahre, nicht vertraut gewesen, was seine Aufmerksamkeit zusätzlich abgelenkt habe.

Das Amtsgericht hat die Nichtverhängung eines Fahrverbots wie folgt begründet:

"Im vorliegenden Fall stellte sich der Rotlichtverstoß des Betroffenen nach dessen Angaben als sog. Augenblicksversagen dar. Er hatte aufgrund mangelnder Sorgfalt den Wechsel der Lichtzeichen nicht wahrgenommen, weshalb der Vorwurf einer groben Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 25 StVG nicht anzunehmen war. Unter Berücksichtigung aller Tatumstände war im Rahmen einer Gesamtwürdigung von einem Fahrverbot abzusehen auch angesichts der Nichtvorbelastung des Betroffenen, seines Verhaltens nach dem Unfall dem Unfallgegner gegenüber und auch angesichts des Eindrucks, den der Betroffene im Rahmen der Hauptverhandlung machte. Ferner waren die vom Betroffenen geschilderten tatsächlichen Schwierigkeiten, die mit dem Antritt eines einmonatigen Fahrverbots verbunden wären, nachvollziehbar. Nach alledem schien die Verdoppelung der Geldbuße auf 500,- DM gegen Wegfall des einmonatigen Fahrverbots noch angemessen, um der Tat Rechnung zu tragen."

III.
[...]
1. Zutreffend geht das Amtsgerichts zunächst davon aus, daß die in § 2 Abs. l Nr. 4 BKatV i.V.m. Nr. 34.1 des Bußgeldkatalogs umschriebenen Voraussetzungen für die Anordnung eines sog. Regelfahrverbots gegeben sind. Die Erfüllung. dieses Tatbestandes indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs.1 S. l StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, daß es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (vgl. BGHSt 38,125,134). Die Regelungen des § 2 Abs.1,2 BKatV sind verfasssungsgemäß (vgl. BVerfG NJW 1996,1809).

2. Die Voraussetzungen für einen Ausnahmefall von dem Fahrverbot sind nach dem festgestellten Sachverhalt nicht gegeben.

a) Anhaltspunkte für eine Minderung des sog. Erfolgsunwerts bestehen nicht. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts entstand an beiden unfallbeteiligten Fahrzeugen Sachschaden. Außerdem ist die Zeugin W. sogar leicht verletzt worden.

b) Der sog. Handlungsunwert ist ebenfalls nicht gemindert. Das Vorliegen einer Katalogtat - wie hier - begründet zunächst die Vermutung, daß auch subjektiv eine grobe Pflichtverletzung vorliegt (vgl. BGH, NZV 1997, 525,526). Ein Ausnahmefall ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts nicht gegeben. Insbesondere handelt es sich nicht um ein sog. Augenblicksversagen, wie das Amtsgericht angenommen hat. Nach der Einlassung des Betroffenen beruhte der Rotlichtverstoß auf eingeschränkter Aufmerksamkeit wegen starker emotionaler Bewegung durch eine unmittelbar vorangegangene Beerdigung einer ihm sehr nahe stehenden Person sowie mangelnder Vertrautheit mit den technischen Besonderheiten des erst seit einer Woche gefahrenen PKW. Diese Umstände sind jedoch nicht geeignet, nur leichte Fahrlässigkeit anzunehmen. Von einem durchschnittlichen Fahrzeugführer ist nämlich zu verlangen, daß er an Kreuzungen mit einem Mindestmaß an Konzentration heranfährt, das es ihm ermöglicht, die Verkehrssignale wahrzunehmen und zu beachten (vgl. BGH, DAR 1992,369,370). Dem ist der Betroffene in gesteigertem Maße nicht gerecht geworden. Wenn er durch die Beerdigung emotional so beeinträchtigt war, daß er seinen PKW nicht mehr ordnungsgemäß im Straßenverkehr führen konnte, hätte er die Fahrt gar nicht erst antreten dürfen oder unterbrechen müssen. Ebenso wenig durfte er sich mit den technischen Besonderheiten seines PKW erst im Alltagsbetrieb des Straßenverkehrs vertraut machen (vgl. BayObLG, NZV 2001,135). Auch wenn der Betroffene nicht einschlägig vorbelastet ist und sich nach dem Zusammenstoß um die Unfallgegner gekümmert hat, trifft ihn doch jenes gesteigerte Unwerturteil, das regelmäßig die Verhängung der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots erfordert.

c) Schließlich kann auch nicht unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit von der Anordnung eines Fahrverbots abgesehen werden. Das wäre möglich, wenn das Fahrverbot zu einer Härte ganz außergewöhnlicher Art, z.B. zum Verlust des Arbeitsplatzes bei einem Arbeitnehmer oder zum Existenzverlust bei einem Selbständigen führen würde. Berufliche Nachteile auch schwerwiegender Art sind jedoch grundsätzlich hinzunehmen. Nach der Neuregelung in § 25 Abs. 2a StVG, wonach ein verhängtes Fahrverbot maximal 4 Monate aufgeschoben werden kann, ist bei der Frage, ob und inwieweit wirtschaftliche Nachteile für die Beurteilung der Angemessenheit und Vertretbarkeit eines Fahrverbots überhaupt von Bedeutung sind, ein noch strengerer Maßstab als in der Vergangenheit anzulegen. Einem Betroffenen ist deshalb nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluß vom 10. Januar 2001 - 2 Ws (B) 4/01 OWiG m.w.N.) grundsätzlich zuzumuten, durch eine Kombination verschiedener Maßnahmen die Zeit des Fahrverbots zu überbrücken, zum Beispiel durch Inanspruchnahme von Urlaub, Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, Inanspruchnahme einer Fahrgemeinschaft, Anstellen eines bezahlten Fahrers usw. Die hierdurch auftretenden finanziellen Belastungen hat der Betroffenen hinzunehmen, notfalls durch Aufnahme eines Kredits. Im Hinblick auf die verhältnismäßig kurze Dauer des Fahrverbots von einem Monat bewegen sich eventuelle finanzielle Belastungen ohnehin in einem überschaubaren und grundsätzlich zumutbaren Rahmen.

Ein solcher Ausnahmefall ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts hier nicht gegeben. Anhaltspunkte für einen Existenzverlust aufgrund eines einmonatigen Fahrverbots bestehen nicht. Der Senat verkennt zwar, nicht, daß der Betroffene nach seinen Angaben grundsätzlich auf ein Kraftfahrzeug angewiesen ist. Wenn er die Dauer des Fahrverbots nicht durch Urlaub überbrücken kann, muß er aber einen Fahrer anstellen oder sich eines Taxis bedienen. Die daraus resultierenden finanziellen Belastungen hat er hinzunehmen.

IV.
Auch in Ansehung der Stellungnahme des Betroffenen [...] ist nicht ersichtlich, daß weitere erhebliche Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch getroffen werden könnten. Der Senat kann deshalb gemäß § 79 Abs. 6 OWIG in der Sache selbst entscheiden und die Regelsanktionen von einer Geldbuße in Höhe von 250,- DM sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängen.

Der Betroffene hat die Kosten des für ihn nachteilig entschiedenen Rechtsmittels einschließlich seiner notwendigen Auslagen zu tragen (§ 465 StPO).


OLG Frankfurt/M, Beschluss vom 22.10.2001, Az. 2 Ws (B) 378/01 OWiG
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Rolf Tjardes
Beitrag 03.02.2004, 22:59
Beitrag #5


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Absehen vom Fahrverbot (3)

Kein Fahrverbot bei längerem Zurückliegen der Tat?

Zitat
"Hat sich das OWi-Verfahren bis zum endgültigen amtsgerichtlichen Urteil länger hingezogen, stellt sich die Frage, ob die Verhängung eines Fahrverbots überhaupt noch gerechtfertigt ist. Dieses Problem stellt sich in der Praxis insbesondere dann, wenn ein amtsgerichtliches Urteil durch das OLG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen worden ist. In diesen Fällen liegen zwischen dem Verkehrsverstoß und der (neuen) Entscheidung des AG häufig ein oder zwei Jahre."


Aufsatz von Detlef Burhoff, Richter am OLG Hamm, aus Verkehrsrecht Aktuell (VA) 2000, 77 ff. -> Volltext lesen
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Uwe W
Beitrag 03.02.2004, 23:16
Beitrag #6


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Kein Fahrverbot 2 Jahre 2 Monate nach Fahrt

In diesem Fall hat das OLG Köln von einem Fahrverbot abgesehen, weil

1. die Sache durch einen Fehler des Amtsgerichts schon einmal vom Oberlandesgericht an das Amtsgericht zurückverwiesen worden war, so dass das 2. Urteil des Amtsgerichts erst 2 Jahre und 2 Monate nach dem Verkehrsverstoß gefällt wurde, und weil mit 31 km/h zuviel innerorts der Verstoß an der unteren Grenze der Erheblichkeitsschwelle lag, die zu einem Fahrverbot wegen grober Pflichtverletzung führte;

2. die Begründung der Beharrlichkeit nicht aufrecht erhalten werden konnte, nachdem die Verstöße, auf die das Amtsgericht in seinem 2. Urteil verwies, im Verkehrszentralregister zwischenzeitlich getilgt waren.

Zitat
Durch Urteil vom 27.04.1999 hat das Amtsgericht die Betroffene wegen einer fahrlässigen Zuwiderhandlung gegen die §§ 3 Abs. 3 Nr. 1, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO, 24, 25 StVG zu einer Geldbuße von 150,00 DM verurteilt und ihr ein Fahrverbot von einem Monat auferlegt.

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen hat der Senat durch Beschluss vom 24.08.1999 das Urteil aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen, weil das Urteil keine Gründe enthielt, obwohl die Voraussetzungen des § 77 b OWiG, unter denen von der Fertigung der Urteilsgründe abgesehen werden kann, nicht gegeben waren; die nachträglich erfolgte Anfertigung der Gründe hatte der Senat für unzulässig erachtet.

Durch Urteil vom 15.02.2000 hat das Amtsgericht die Betroffene erneut verurteilt; die Urteilsformel lautet wie diejenige des Urteils vom 27.04.1999.

Nach den Feststellungen befuhr die Betroffene, die von Beruf (angestellte) Taxifahrerin ist, am 13.04.1998 gegen 21.00 Uhr mit einem Taxi die B 55 innerhalb geschlossener Ortschaft von F.-K. mit einer durch das Geschwindigkeitsmessgerät Typ T.-S ermittelten Geschwindigkeit von 81 km/h (= 84 km/h abzüglich eines Toleranzwertes von 3 km/h), obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h betrug.

...

Im Rechtsfolgenausspruch führt das Rechtsmittel auf die Sachrüge zum Wegfall des angeordneten Fahrverbots.

...

Die vom Amtsgericht erwähnte "letzte Bußgeldentscheidung" ist am 8.08.1997 rechtskräftig geworden.

Danach hätte das Amtsgericht die angeführten Vorbelastungen bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigen dürfen. Die für Ordnungswidrigkeiten geltende zweijährige Tilgungsfrist (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 StVG) beginnt mit dem Tag der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung (§ 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG). Der maßgebliche Zeitpunkt für ein Verwertungsverbot wegen Tilgungsreife ist der Tag des Erlasses des letzten tatrichterlichen Urteils (vgl. zu allem § 29 Abs. 8 StVG und Jagusch/Hentschel, StVR, 35. Auflage, StVG § 29 Rnr. 12, 15 mit Nachweisen). Im Zeitpunkt der Verkündung des Urteils vom 15.02.2000 war somit auch die am 8.08.1997 rechtskräftig gewordene "letzte Bußgeldentscheidung" tilgungsreif, so dass hinsichtlich sämtlicher Vorbelastungen ein Verwertungsverbot bestand (vgl. auch § 29 Abs. 6 StVG).

Die Anordnung des Fahrverbots beruht auf der rechtsfehlerhaften Verwertung der Vorbelastungen. Das Amtsgericht hat das Fahrverbot auch - sogar gleichrangig - auf den Gesichtspunkt der beharrlichen Pflichtverletzung (§ 2 Abs. 2 BKatV) gestützt.

Die rechtsfehlerhafte Verwertung der Vorbelastungen führt hier nicht zu einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung über die Rechtsfolgenseite. Vielmehr kann der Senat gemäß § 79 Abs. 6 OWiG insoweit selbst befinden, wobei er wegen der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und der Entscheidung über die Frage des Fahrverbots über den Rechtsfolgenausspruch insgesamt neu zu entscheiden hat. Die dazu notwendigen Feststellungen lassen sich dem angefochtenen Urteil entnehmen.

Für fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitungen zwischen 31 und 40 km/h innerorts ist in §§ 1 Abs. 1 und 2, 2 Abs. 1 Nr. 1 BKatV in Verbindung mit laufender Nummer 5.3.3 Tabelle 1 a des BKat eine Regelbuße von 200,00 DM sowie ein Fahrverbot von einem Monat vorgesehen.

Was die Geldbuße anbelangt, hält der Senat - wie das Amtsgericht - im Hinblick auf die wirtschaftlich angespannte Situation der Betroffenen eine Reduzierung des Regelbetrages auf 150,00 DM für angemessen.

Von der Anordnung eines Fahrverbots sieht der Senat ab.

Das Fahrverbot nach § 25 StVG hat nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel - und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt (BVerfGE 27, 36, 42 = NJW 1969, 1623, 1624), als Sanktion bei groben und beharrlichen Verstößen gegen § 24 StVG. Als solche kann es seinen Sinn verloren haben, wenn zwischen dem Verkehrsverstoß und dem Wirksamwerden seiner Anordnung ein erheblicher Zeitraum liegt und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten im Straßenverkehr festgestellt worden ist (BayObLG NZV 1998, 82 am Ende = DAR 1997, 115; OLG Stuttgart zfs 1998, 194; Senatsentscheidung vom 6.08.1996 - Ss 346/96 B und vom 21.12.1999 - Ss 583/99 B; vgl. auch Senatsentscheidung vom 16.12.1999 - Ss 559/99 B = NZV 2000, 217, 218). Wann bei langer Verfahrensdauer der Zeitablauf entweder allein oder zusammen mit anderen Umständen ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen kann, ist eine Frage des Einzelfalles (Senatsentscheidung vom 6.08.1996 - Ss 346/96 B). Bei ihrer Beantwortung sind insbesondere auch die Ursachen der langen Verfahrensdauer mit zu berücksichtigen. Ist sie z. B. maßgeblich auf Beweisanträge des Betroffenen zurückzuführen, die im Nachhinein die Wertung rechtfertigen, sie seien aufs "Geratewohl", "ins Blaue hinein" gestellt worden, muss die Länge des Verfahrens noch kein Grund sein, dem Fahrverbot die Geeignetheit als Denkzettel - und Besinnungsmaßnahme abzusprechen. Sind für eine lange Verfahrensdauer dagegen maßgeblich Umstände außerhalb des Einflußbereichs des Betroffenen ursächlich, kann der Zeitablauf die Berechtigung eines Fahrverbots in Frage stellen.

Vorliegend sind seit der Tat mehr als zwei Jahre und zwei Monate verstrichen. Davon entfällt eine Verzögerung von zumindest 10 Monaten auf einen Fehler innerhalb der Justiz. Hätte bereits das erste amtsgerichtliche Urteil vom 27.04.1999 zulässige Urteilsgründe enthalten, hätte der Senat eine materiell-rechtliche Überprüfung der Urteilsgründe bereits mit dem Beschluss vom 24.08.1999 vornehmen können.

Unter zusätzlicher Berücksichtigung des Umstandes, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung der Betroffenen an der untersten Grenze der für die Verhängung eines Fahrverbots wegen grober Pflichtverletzung bedeutsamen Erheblichkeitsschwelle lag (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 31 km/h), hält es der Senat danach nicht mehr für angemessen, die Betroffene jetzt noch mit der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme des Fahrverbots zu belegen....


OLG Köln, Beschluss vom 16.06.2000, Az. Ss 241/00 B - 101 B -


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"Alle Mitgliedstaaten hätten Grund sich zu beklagen. Skouris betont, dass gerade dies beweise, dass der EuGH seine Arbeit gut mache."
(Interview mit Vassilios Skouris am 20.04.06 im ORF)
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Beitrag 03.02.2004, 23:32
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Kein Fahrverbot bei Augenblicksversagen

Hier hatte ein einmonatiges Fahrverbot, welches sowohl unter dem Gesichtspunkt der groben Pflichtverletzung (innerorts mindestens 31 km/h zuviel) als auch unter dem der Beharrlichkeit (8 Monate vorher bereits 29 km/h innerorts zuviel) verhängt wurde, keinen Bestand, weil der Fahrer ein einmalig (und dazu wohl auch noch links) aufgestelltes "30"-Schild übersehen hatte und von einer 50-Zone ausgegangen war.
Zitat
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit nach "21 Abs. 1, 49 StVO" zu einer Geldbuße von 280,00 DM verurteilt. Es hat dem Betroffenen ein Fahrverbot von der Dauer eines Monats auferlegt. Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

"Am 18.08.1998 befuhr der Betroffene gegen 18.07 Uhr in L. den I. Weg in Richtung E.straße mit seinem PKW, Marke BMW, amtliches Kennzeichen xxx- x xxx. Dabei überschritt er fahrlässig die durch Verkehrszeichen 274.1 an der Einmündung der Straße I. Weg im F. ausgewiesene zulässige Geschwindigkeit von 30 km/h erheblich. Nach Abzug eines Toleranzwertes verblieb eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 33 km/h. Die Geschwindigkeitsüberschreitung wurde mit dem Lasermeßgerät Riegl LR 90-235/P Nr. S 125897 eingemessen. Das Gerät wurde ausweislich der bei den Akten befindlichen Eichbescheinigung am 20.05.1997 geeicht. Das Ende der Eichgültigkeit liegt am 31.12.1998."

Aus den Ausführungen zum Rechtsfolgenausspruch ergibt sich, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts begangen wurde.

[...]

Die Rechtsbeschwerde führt zu einer Änderung des Schuldspruchs und zum Wegfall des Fahrverbots; die weitergehende Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

[...]

Für die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung von 33 km/h innerorts sieht der Bußgeldkatalog zwar nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BKatV in Verbindung mit Tabelle 1 a laufende Nr. 5.3.3 ein Fahrverbot vor, so dass ein grober Verstoß gegen die Pflichten des Kraftfahrzeugführers nach § 25 Abs. 1 StVG indiziert ist. Außerdem kommt nach § 2 Abs. 2 S. 2 Bußgeldkatalogverordnung in der Regel ein Fahrverbot in Betracht, wenn - wie im vorliegenden Fall - gegen den Führer eines Kraftfahrzeugs wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h bereits eine Geldbuße rechtskräftig festgesetzt worden ist und er innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der Entscheidung eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begeht.

Die Anordnung eines Fahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers kommt jedoch auch bei einer die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Bußgeldkatalogverordnung erfüllenden Geschwindigkeitsüberschreitung nicht in Betracht, wenn die Ordnungswidrigkeit darauf beruht, dass der Betroffene infolge einfacher Fahrlässigkeit ein die Geschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen übersehen hat und keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, aufgrund derer sich die Geschwindigkeitsbeschränkung aufdrängen müsste (BGH NJW 1997, 3252 = VRS 94, 221; OLG Hamm NZV 1998, 334 und DAR 1999, 327). Wer eine Geschwindigkeitsbegrenzung nicht wahrnimmt, handelt nicht grob pflichtwidrig, sofern nicht gerade diese Fehlleistung ihrerseits auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruht, z.B. in Fällen, in denen das Zeichen 274 mehrfach wiederholt wurde (BGH a.a.O.), ein sogenannter Geschwindigkeitstrichter eingerichtet war (BGH a.a.O.; Senatsentscheidung vom 24.04.1998 - Ss 177/98), die Geschwindigkeitsbegrenzung durch eine weithin sichtbare, ins Augen fallende Verkehrsbeeinflussungsanlage über der Autobahn angeordnet wurde (Senatsentscheidung vom 19.12.1997 - Ss 703/97) oder die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung sich aufgrund der ohne weiteres erkennbaren Situation (Art der Bebauung) jedermann aufdrängt (OLG Celle NZV 1998, 254; vgl. auch OLG Braunschweig NZV 1998, 420; OLG Zweibrücken NZV 1998, 420).

Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht dem Betroffenen nicht widerlegen können, dass er das Verkehrszeichen übersehen hat. Besondere Umstände, die das Übersehen des Verkehrszeichens als grob pflichtwidrig erscheinen lassen könnten, sind nicht festgestellt. Aus dem Inbegriff der Urteilsgründe ergibt sich, dass das Verkehrszeichen xxx.x in Fahrtrichtung des Betroffenen nur an einer Stelle aufgestellt war und zwar - wiederum in Fahrtrichtung des Betroffenen gesehen - links der Straße. Anders lässt sich nicht erklären, dass das Amtsgericht nur von dem Verkehrszeichen in der Einzahl spricht und dem Betroffenen nicht zu widerlegen war, dass ein entgegenkommendes Fahrzeug zumindest kurzfristig die Sicht auf das Verkehrszeichen beeinträchtigte; denn der Blick auf ein am rechten Straßenrand stehendes Verkehrszeichen wäre durch Gegenverkehr nicht beeinträchtigt worden. Allein das Übersehen eines einzelnen am linken Fahrbahnrand aufgestellten Verkehrszeichens lässt schon deswegen keinen Schluss auf grobe Pflichtwidrigkeit zu, weil der Autofahrer verpflichtet ist, in erster Linie die auf der rechten Straßenseite angebrachte Beschilderung zu Kenntnis zu nehmen und zu beachten (BayOblG NZV 1998, 255). Nach III 8 der Vwv zu §§ 39 bis 43 StVO sind Verkehrszeichen auf der rechten Straßenseite anzubringen. Links dürften sie nur angebracht werden, wenn Missverständnisse darüber, dass sie für den gesamten Verkehr in eine Richtung gelten, nicht entstehen können und wenn sie so besonders auffallen und jederzeit im Blickfeld des Fahrers liegen. Dass diese Voraussetzungen vorlagen, kann den amtsgerichtlichen Feststellungen nicht entnommen werden. Der Umstand, dass dem Betroffenen nicht zu widerlegen war, dass er zumindest zeitweise das Verkehrszeichen wegen entgegenkommenden Verkehrs nicht sehen konnte, spricht für das Gegenteil.

Warum sich dem Betroffenen aufdrängen sollte, dass er in eine 30 km/h-Zone einfuhr, ergibt sich nicht aus dem Urteil. Der "Beginn der Bebauung" konnte Anlass geben, mit einer Beschränkung der zulässigen Geschwindigkeit auf 50 km/h zu rechnen, nicht aber mit einer Beschränkung auf 30 km/h. Davon, dass die vom Betroffenen befahrene Straße durch Blumenkübel, Aufpflasterungen oder Fahrbahnverengungen als 30 km/h-Zone erkennbar war, kann mangels entsprechender Feststellungen des Amtsgerichts nicht ausgegangen werden.

Unter diesen Umständen fehlt es an dem Nachweis einer groben Pflichtwidrigkeit.

Auch auf § 2 Abs. 2 S. 2 Bußgeldkatalogverordnung konnte das Fahrverbot nicht fehlerfrei gestützt werden. Beruht die Verkehrsordnungswidrigkeit nicht ausschließbar auf einem Augenblicksversagen, so entfällt auch bei beharrlichen Pflichtverstößen die Indizwirkung (OLG Braunschweig DAR 1999, 273 = NZV 1999, 303; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 25 StVG Rdnr. 15). Soweit der Senat in früheren Entscheidungen (Senatsentscheidung vom 02.03.1998 - Ss 55/98 - und vom 06.03.1998 - Ss 78/98) eine andere Ansicht vertreten hat, wird daran nicht festgehalten.

Da nicht zu erwarten ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch Feststellungen getroffen werden können, die rechtsfehlerfrei ein Augenblicksversagen des Betroffenen ausschließen, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden und das Fahrverbot entfallen lassen.


OLG Köln, Beschluss vom 23.07.1999, Az. Ss 310/99(B) 150 B


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"Alle Mitgliedstaaten hätten Grund sich zu beklagen. Skouris betont, dass gerade dies beweise, dass der EuGH seine Arbeit gut mache."
(Interview mit Vassilios Skouris am 20.04.06 im ORF)
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Uwe W
Beitrag 03.02.2004, 23:54
Beitrag #8


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Kein Fahrverbot bei Rotlichtverstoß, wenn vermeidbarer Verbotsirrtum über rechtfertigenden Notstand vorliegt

OLG Köln hat von einem Fahrverbot bei einem Taxifahrer abgesehen, der qualifizierte Rotlichtverstöße begangen hat, um einen hilflosen Passagier zu dessen 12 km entfernt liegende Wohnung zu bringen, wo er ein lebenswichtiges Herzmedikament einnehmen wollte.

Da aber 1 km vom Startort entfernt ein Krankenhaus war, wurde rechtfertigender Notstand verneint.

Ein Fahrverbot wurde aber nicht verhängt, zumal konkrete Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer nicht festgestellt wurden.

Zitat
Das Amtsgericht durfte auch nicht schulderschwerend berücksichtigen, daß der Betroffene vorsätzlich und trotz schon länger andauernde Rotphase das Rotlicht mißachtet hat. Wenn ein Täter irrig meint, er dürfe wegen einer Gefahrenlage sich über das Haltegebot einer Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage hinwegsetzen, so ist die vorsätzliche Begehungsweise typisch für die Konfliktsituation, in der sich der Täter befindet und begründet keine erhöhte Vorwerfbarkeit. Gleiches gilt für die Dauer der Rotphase: Je länger sie andauert, um so dringlicher wird in einem Fall wie dem vorliegenden aus der Sicht des Täters die Notwendigkeit, das Rotlicht zu mißachten.

Schließlich kann auch nicht schulderschwerend berücksichtigt werden, daß der Betroffene mehrere rote Ampeln überfahren hat. Abgesehen davon, daß der Verbotsirrtum des Betroffenen auch das Rotlicht der anderen Ampelanlagen betroffen hätte, fehlt es insoweit an verwertbaren Feststellungen...

Schulderschwerend könnte allenfalls ins Gewicht fallen, daß der abgeurteilte Verkehrsverstoß zu einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer geführt hat (vgl. SenE vom 06.01.1998 - Ss 738/97). Aber gerade dies hat das Amtsgericht nicht festgestellt.

Der Senat schließt aus, daß in einer neuer Hauptverhandlung noch rechtsfehlerfrei schulderhöhende Umstände festgestellt werden können. Ohne solche Umstände ist aber der in vermeidbaren Verbotsirrtum und mit Rettungswillen begangene Rotlichtverstoß nicht als grobe Pflichtverletzung zu bewerten, so daß die Anordnung eines Fahrverbots nicht geboten ist.


Auszug aus: OLG Köln, Beschluss vom 19.06.1998, Az. Ss 289/98 (B)


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Beitrag 04.02.2004, 00:04
Beitrag #9


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Kein Fahrverbot, wenn Haltelinie bei Grün überfahren wurde und rückstaubedingt erst bei Rot in die Kreuzung eingefahren wird

Das Amtsgericht hatte folgende Feststellungen getroffen:

Zitat
Am 5.4.1997 gegen 17.30 Uhr befuhr der Betroffene mit seinem Pkw VW-Passat mit dem amtlichen Kennzeichen X. in Bonn die Weiherstraße in Fahrtrichtung der dazu quer verlaufenden Bornheimer Straße. Der Betroffene ordnete sich auf der Linksabbiegerspur ein und musste zunächst an der rotlichtanzeigenden Lichtzeichenanlage anhalten. Wegen starken Verkehrsaufkommens stauten sich die Pkw's auf der Bornheimer Straße in Fahrtrichtung Innenstadt/Berliner Freiheit. Als die Ampelanlage für den Betroffenen Grünlicht anzeigte, konnte er wegen eines Rückstaus in dem Einmündungsbereich nicht auf die Bornheimer Straße einbiegen. Bei Grünlicht fuhr der Betroffene an, passierte mit den Vorderrädern seines Pkw's die Haltelinie vor der Ampelanlage und kam wegen des Rückstaus von der Bornheimer Straße auf dem Fußgängerüberweg vor der Ampelanlage zum halten. Mit den Hinterrädern seines Pkw's hatte er die Haltelinie noch nicht passiert. In dieser Position konnte der Betroffene die Lichtzeichenanlage noch beobachten. Während der gesamten Grünphase konnte der Betroffene seinen Pkw wegen des Rückstaus nicht weiter in den Kreuzungsbereich hinein fortbewegen. Erst nachdem die Ampelanlage für den Betroffenen wieder Rotlicht erhalten hatte und die Lichtzeichenanlage für den Querverkehr auf der Bornheimer Straße bereits wieder auf Grün umgeschaltet waren, fuhr der Betroffene auf die Bornheimer Straße und bog nach links in Richtung Innenstadt ab ...

Als der Betroffene in die Bornheimer Straße abbog, zeigte für ihn die Lichtzeichenanlage bereits länger als 1 Sekunde Rotlicht an.


Dazu OLG Köln ...

Zitat
Dem angefochtenen Urteil kann schon nicht eindeutig entnommen werden, wo sich der Betroffene befand, als die Rotphase länger als 1 Sekunde andauerte. Da es auf den Zeitpunkt des Überfahrens der Haltlinie ankommt, reicht es für die Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes nicht aus, wenn erst beim Einfahren in den Kreuzungsbereich die Rotphase länger als 1 Sekunde andauerte. Ein qualifizierter Rotlichtverstoß läge im vorliegenden Fall aber auch nicht vor, wenn 1 Sekunde Rotlicht schon in dem Zeitpunkt verstrichen wäre, in dem der Betroffene aus der Stellung, in der er zum Halten gekommen ist (Vorderräder jenseits, Hinterräder noch hinter der Haltlinie), wieder anfuhr.

Der Betroffene brauchte nicht vor der Haltlinie zu halten, da die Lichtzeichenanlage noch Grünlicht zeigte, als er die Haltlinie mit den Vorderrädern seines Wagens überfuhr. Da er ein Gebot, wegen Rotlichts an der Haltlinie zu halten, nicht missachtet hat, kann ein qualifizierter Rotlichtverstoß auch nicht dadurch begangen werden, dass er nach Überfahren der Haltlinie mit den Vorderrädern und verkehrsbedingtem Anhalten bei Rotlicht weiterfuhr. Im Hinblick auf die verschärfte Sanktion der Nr. 34.2 BKatV bedarf es einer klaren Abgrenzung. "Überfahren" ist die Haltlinie, wenn die Vorderräder des Fahrzeugs die Linie überfahren haben; spätestens in diesem Zeitpunkt ist ein Anhalten unmittelbar vor der Haltlinie nicht mehr möglich. Für die Frage, ob beim Überfahren der Haltlinie schon 1 Sekunde Rotlicht andauert, ist daher auf das Überfahren mit den Vorderrädern abzustellen, um eine eindeutig klare Regelung zu haben. Was die Gefährlichkeit des Rotlichtverstoßes angeht, so macht es zwar keinen Unterschied, ob ein Fahrzeugführer unmittelbar vor der Haltlinie oder nur mit den Vorderrädern jenseits der Haltlinie oder auch mit den Hinterrädern jenseits der Haltlinie zum Stehen kommt und dann bei Rot an- und in die Kreuzung einfährt. Weil ein qualifizierter Rotlichtverstoß aber ein Überfahren der Haltlinie mehr als 1 Sekunde nach Beginn der Rotphase voraussetzt, müssen diese Fälle notwendigerweise unterschiedlich behandelt werden je nach dem ob die Haltlinie bei Grün oder Rot überfahren wird, wobei es - wie ausgeführt - auf das Überfahren mit den Vorderrädern ankommt. Wer noch bei Grünlicht die Haltlinie - wenn auch nur mit den Vorderrädern seines Fahrzeugs - überfährt, und nach verkehrsbedingtem Halt bei Rot in die Kreuzung einfährt, begeht keinen qualifizierten Rotlichtverstoß im Sinne von Nr. 34.2 BKatV.


Auszug aus: OLG Köln, Beschluss vom 19.03.98, Az. Ss 129/98 B - 80 B -


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Beitrag 04.02.2004, 00:28
Beitrag #10


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Kein Fahrverbot bei Rotlichtverstoß, wenn hinter der Haltlinie noch angehalten

Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Zitat
Am 20.02.1993 gegen 14.45 Uhr befuhr der Betroffene zusammen mit seiner Ehefrau als Beifahrerin mit seinem Pkw VW in Ü.-P. aus Richtung T.straße kommend die J. Straße. An der Kreuzung R. Straße/J. Straße zeigte die dortige Lichtzeichenanlage für die Fahrtrichtung des Betroffenen Rotlicht. Da der Betroffene das Rotlichtzeichen erst zu einem späten Zeitpunkt bemerkte, fuhr er über die dortige Haltelinie ein Stück in den geschützten Verkehrsraum ein, ehe er sein Fahrzeug stoppte. Da der Betroffene von seinem Fahrersitz aus, anders als seine Ehefrau, die die Lichtzeichenanlage mit einigen "Verrenkungen" hätte einsehen können, nicht mehr einsehen konnte, überlegte er zunächst, sein Fahrzeug zurückzusetzen. Da nun aber zwischenzeitlich unmittelbar hinter dem Betroffenen ein Motorrad zum Stehen gekommen war, verblieb der Betroffene an seinem Standort und nahm Blickkontakt zu dem Motorradfahrer auf. Als dieser sein Motorrad kurz aufheulen ließ, fuhr der Betroffene in dem Glauben, der Motorradfahrer werde ihm auf diese Weise anzeigen, dass er nunmehr losfahren könne, an und bog nach rechts auf die Roermonder Straße ab. Zu diesem Zeitpunkt zeigte die Lichtzeichenanlage für den Betroffenen weiterhin Rotlicht. Erst ca. 2-3 Sekunden nach dem Abbiegevorgang des Betroffenen wechselte die Lichtzeichenanlage auf Rot-/Gelblicht.


Dazu OLG Köln ...

Zitat
Das Amtsgericht hat die in Nr. 34.2 BKatV für das Nichtfolgen eines roten Wechsellichtzeichens "bei schon länger als 1 Sekunde andauernder Rotphase" vorgesehene Regelsanktion von einer Buße von 250,-- DM und einem Fahrverbot von 1 Monat verhängt.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der Verletzung materiellen Rechts gerügt wird, führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils.

[...]

Das Amtsgericht hat sich beim Rechtsfolgenausspruch an Nr. 34.2 BKatV gehalten, ohne die abstrakte Gefährlichkeit des Rotlichtverstoßes näher darzulegen, obwohl dies unter den konkreten Umständen des Falles notwendig gewesen wäre.

Die Bußgeldkatalogverordnung droht in Nr. 34.2 eine verschärfte Sanktion für den Fall an, dass ein Fahrzeugführer ein rotes Wechsellichtzeichen "bei schon länger als 1 Sekunde andauernder Rotphase" nicht befolgt. Dem Wortlaut der Verordnung kann nicht entnommen werden, auf welchen Zeitpunkt des Verkehrsablaufs es ankommt, wenn zu entscheiden ist, ob die Rotphase schon eine Sekunde andauert. Nach der Ansicht des Senats kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem der Betroffene an der Lichtzeichenanlage vorbeifährt (so auch OLG Celle NZV 1994, 40 und Senatsentscheidung vom 03.11.1992 - Ss 467/92 = NZV 1993, 119 = VRS 84, 115). Der Ansicht des OLG Oldenburg (NZV 1993, 446 = VRS 86, 74; zustimmend: Hentschel NJW 1994, 701, 706) kann nicht gefolgt werden. Zutreffend geht das OLG Oldenburg davon aus, dass ein Verkehrsteilnehmer erst dann gegen das Haltegebot in § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO verstößt, wenn er - abgesehen von Fußgängerfurten oder ähnlichem - in den eigentlichen Kreuzungsbereich einfährt. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die verschärfte Sanktion der Nr. 34.2 BkatV schon zu verhängen ist, wenn bei Einfahren in die Kreuzung das Rotlicht mehr als eine Sekunde andauert. Der Bußgeldkatalog will mit der Regelung in Nr. 34.2 besonders schwerwiegende Rotlichtverstöße, insbesondere bei grobem Fehlverhalten, erfassen (vgl. amtliche Begründung VerkBl 1991, 702, 704). Ein Indiz für grobes Fehlverhalten liegt vor, wenn ein Verkehrsteilnehmer noch an einer LZA vorbeifährt, obwohl sie schon eine Sekunde Rotlicht zeigt; denn in einem solchen Fall hätte er wegen der vorausgegangenen Gelbphase bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt unschwer anhalten können. Würde man stattdessen auf den Zeitpunkt des Einfahrens in den eigentlichen Kreuzungsbereich abstellen, so würden von der Regelwirkung der Nr. 34.2 auch Fallgestaltungen erfasst, die nicht für ein grobes Fehlverhalten sprechen. Je nach Entfernung zwischen LZA und Kreuzungsbereich und der zulässigen bzw. gefahrenen Geschwindigkeit könnte das Rotlicht bei Erreichen des Kreuzungsbereich schon länger als eine Sekunde andauern, obwohl das Rotlicht im Zeitpunkt des Vorbeifahrens gerade erst aufleuchtete oder noch gar nicht aufgeleuchtet war. Es könnten sogar solche Verkehrsteilnehmer unter die Regelwirkung der Nr. 34.2 fallen, die die LZA bei Grünlicht passiert haben. Es ist nämlich anerkannt, dass Verkehrsteilnehmer, die bei Grünlicht an der LZA vorbeigefahren sind, dann aber vor dem eigentlichen Kreuzungsbereich aufgehalten werden, nicht mehr in die Kreuzung einfahren dürfen wenn sie damit rechnen müssen, dass inzwischen ihre Fahrtrichtung durch "Rot" gesperrt ist; ein gleichwohl erfolgtes Einfahren in die Kreuzung ist ein Verstoß gegen § 37 Abs. 2 StVO (vgl. OLG Hamm VRS 57, 451, 452; OLG Köln, 3. Strafsenat, Beschluss vom 13.06.1980 - 3 Ss 434/80; Senatsentscheidungen VRS 72, 212 und vom 28.09.1993 - Ss 401/93; Jagusch/Hentschel, a.a.O., § 37 StVO Rdnr. 45 a). Um derartige Fallgestaltungen, bei denen die Annahme groben Fehlverhaltens im allgemeinen nicht nahe liegt, von vorneherein auszuschließen, erscheint es geboten, die Regelung in der Bußgeldkatalogverordnung dahin auszulegen, dass es für die Berechnung der Rotlichtzeit von mehr als einer Sekunde auf den Zeitpunkt der Vorbeifahrt an der Lichtzeichenanlage ankommt.

[...]

Wenn somit auch davon auszugehen ist, dass der Betroffene trotz länger als eine Sekunde andauernder Rotphase in die Kreuzung eingefahren ist, liegt gleichwohl ein Regelfall der Nr. 34.2 BkatV nicht vor. Unter diese Regelung fallen nur besonders schwerwiegende Rotlichtverstöße (OLG Düsseldorf DAR 1993, 271; DAR 1993, 272 = NJW 1993, 2063 = NZV 1993, 320 = VRS 85, 139; DAR 1994, 39 = NZV 1993, 409 = VRS 85, 470; VRS 85, 472 = VM 1994 Nr. 16). Der Grund für die in Nr. 34.2 BKatV enthaltene Regelung ist die mit diesem Verkehrsverhalten im allgemeinen verbundene abstrakte Gefährdung. In der amtlichen Begründung (Verkehrsblatt 1991, 702, 704) heißt es insoweit:

"... Eine abstrakte Gefährdung ist zu unterstellen, wenn ein Wechsellichtzeichen missachtet wird, obwohl die Rotphase bereits länger eine Sekunde andauert (Nr. 34.2). Der Querverkehr (insbesondere auch Fußgänger) kann sich nach dieser Zeit bereits im Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden."

Wenn unter den besonderen Umständen des Einzelfalls eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen ist, liegt kein Regelfall der Nr. 34.2 vor (vgl. Senatsentscheidung vom 06.08.1993 - Ss 327/93 = NZV 1994, 41 betreffend Baustellenampel; OLG Düsseldorf DAR 1993, 271; DAR 1993, 272 = VRS 85, 139 und VRS 85, 472 betreffend Links- bzw. Rechtsabbieger, die das Grünlicht für den Geradeausverkehr mit der für sie maßgeblichen Ampel verwechselt haben). Sind Umstände ersichtlich, die der Annahme einer abstrakten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer entgegenstehen, bedarf es näherer Feststellungen zu dieser Frage (Senatsentscheidungen vom 05.11.1993 - Ss 473/93 - und vom 19.11.1993 - Ss 490/93). Insbesondere ist anerkannt, dass es bei einem vorschnellen Frühstarter der Darlegung bedarf, dass dessen Rotlichtverstoß in gleicher Weise abstrakt gefährlich ist wie der eines Nachzüglers (vgl. OLG Oldenburg NZV 1993, 408 = VRS 85, 362 und NZV 1994, 38 = VRS 85, 450).

Auf der Grundlage der im vorliegenden Fall vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen ergab sich eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht ohne weiteres aus dem Verkehrsablauf. Der Betroffene hat zunächst bei Rot vor der Kreuzung gehalten, ist dann in der irrigen Annahme, die LZA sei auf Grün gewechselt, losgefahren und auf der Kreuzung nach rechts eingebogen. Querverkehr von rechts konnte er in dieser Situation ohnehin nicht gefährden. Dass von links sich noch bevorrechtigte Verkehrsteilnehmer näherten, die hätten gefährdet werden können, ist nicht festgestellt. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist anzunehmen, dass der Betroffene diesen Querverkehr hat passieren lassen, bevor er losfuhr. Ein besonders schwerwiegender Rotlichtverstoß liegt somit nicht vor, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass neuerdings durch ein grünes Pfeilschild das Rechtsabbiegen nach Anhalten trotz Rotlichts erlaubt werden kann (vgl. hierzu Hentschel NJW 1994, 637).

Da nicht zu erwarten ist, dass im Fall einer Zurückverweisung noch weitere Feststellungen getroffenen werden können, die eine abstrakte oder gar konkrete Gefährdung ergeben könnten, kann der Senat gemäß § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst entscheiden und entsprechend Nr. 34 BkatV eine Geldbuße von 100,-- DM festsetzen.


Auszug aus: OLG Köln, Beschluss vom 15.03.1994, Az. Ss 84/94 (B) 49 B


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Beitrag 04.02.2004, 00:40
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Kein Fahrverbot beim Hinterherfahren trotz Rotlichts an Baustellenampel

Feststellungen des Amtsgerichts:

Zitat
"Am 6. Oktober 1992 befuhr die Betroffene mit ihrem Pkw ... in H.-G. die Landstraße --- und musste vor einer Baustelle hinter anderen Kraftfahrzeugen anhalten, da innerhalb der Baustelle die Verkehrsführung nur einspurig war und an beiden Enden der Baustelle jeweils eine Verkehrssignalanlage aufgestellt war. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 50 km/h, die Gelbphase der LZA betrug 3 Sekunden. Da sich vor der Ampelanlage der Verkehr staute und bei einer Grünphase nicht alle Fahrzeuge in den Baustellenbereich einfahren konnten, fuhr die Betroffene um 16.57 Uhr an der Verkehrssignalanlage vorbei, nachdem diese bereits 2,6 Sekunden rotes Licht gezeigt hatte. ..."


Zur Beweiswürdigung hieß es in dem Urteil des Amtsgerichts:

Zitat
"Die Betroffene hat sich ... dahin eingelassen, dass sie sich an das letzte Fahrzeug "angehängt" habe und daher die Ampel nicht beachtet hätte. Das Gericht ist ferner zugunsten der Betroffenen davon ausgegangen, dass durch den Verkehrsverstoß der Betroffenen keine konkrete Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer entstanden ist, weil die Baustelle übersichtlich war und kein Querverkehr herrschte."


Das OLG Köln hat das vom Amtsgericht verhängte Fahrverbot zurückgenommen und ausgeführt:

Zitat
Diese Bewertung der Tat als Regelfall im Sinne der Nr. 34.2 BKat hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Amtsgericht hat die besonderen Umstände unberücksichtigt gelassen, welche die Tat hier als weniger schwerwiegend erscheinen lassen und deshalb eine Abweichung von der gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 BKatV von gewöhnlichen Tatumständen ausgehenden Regelbuße erfordern.

[...]

Einen derart schwerwiegenden Verkehrsverstoß hat die Betroffene nach den Feststellungen nicht begangen. Eine konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ist nicht erfolgt. Zu einer abstrakten Gefährdung hat der Rotlichtverstoß der Betroffenen ersichtlich ebenfalls nicht geführt. Bei der Lichtzeichenanlage des vorliegenden Falles handelt es sich um eine sogenannte Baustellenampel, die zur Verkehrslenkung innerhalb der - offensichtlich infolge halbseitiger Straßensperrung - nur einspurig befahrbaren Fahrbahn installiert war. "Hängt" sich in einem solchen Fall der Fahrzeugführer trotz Rotlichts an die bei Grünlicht in den Baustellenbereich eingefahrene Fahrzeugkolonne an, kommt die Annahme einer abstrakten Gefährdung etwaigen Querverkehrs (Fußgänger, Baustellenfahrzeuge, Anwohnerfahrzeuge) nicht in Betracht. Während der Vorbeifahrt der Kolonne ist dem Querverkehr - wie im übrigen auch dem Gegenverkehr - eine Benutzung der nur einspurig befahrbaren Straße erst gar nicht möglich, zumindest kann er nicht auf deren gefahrlose Benutzung vertrauen. Der Rotlichtverstoß des sich "anhängenden" Fahrzeugführers begründet daher für den Querverkehr - wie im übrigen auch für den Gegenverkehr - keine Gefahrenlage. Es handelt sich mithin nicht um einen besonders schwerwiegenden Rotlichtverstoß im Sinne einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (§ 25 Abs. 1 Satz 1 StVG), wenn auch diese Verkehrsordnungswidrigkeit zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Gegenverkehrs führt, der trotz Grünlichts seiner Ampel nicht in den Baustellenbereich einfahren kann (vgl. § 11 StVO).


Die Geldbuße wurde allerdings wegen Voreintragungen im Verkehrszentralregister (VZR) auf 250 DM festgesetzt.

Auszug aus: OLG Köln, Beschluss vom 26.08.93, Az. Ss 327/93 (B) - 161 B -


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Beitrag 04.02.2004, 01:44
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Kein Fahrverbot bei Rotlichtverstoß bei "Mitzieheffekt" trotz Unfalls

Das Amtsgericht hatte folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

Zitat
Am 31.10.1998 befuhr der Betroffene gegen 18.20 Uhr als Führer des Pkw VW, amtliches Kennzeichen, die V-straße in C in nördlicher Richtung und näherte sich dem Kreuzungsbereich V-straße/L-Platz/T-ring. Der Betroffene wollte nach links auf den T-ring abbiegen und ordnete sich deshalb auf einer der beiden Linksabbiegerspuren ein. Da die Ampel Rotlicht zeigte, hielt der Betroffene an der Haltelinie an.

Rechts neben ihm befand sich ebenfalls auf einer Linksabbiegerspur eine andere Fahrzeugführerin. Als diese anfuhr und unter Verstoß gegen die vorgegebene Fahrtrichtung nach rechts abbog, fuhr der Betroffene ebenfalls an, um nach links auf den T-ring abzubiegen, wobei er davon ausging, daß die Ampel nunmehr auf Grünlicht umgesprungen war. Tatsächlich zeigte sie aber noch Rotlicht.

Im Kreuzungsbereich kam es dann zur Kollision des Fahrzeugs des Betroffenen mit dem der Zeugin L1, die vom L-Platz aus kommend nach links in die V-straße abbiegen wollte und deren Ampel Grünlicht zeigte. An beiden Fahrzeugen entstand erheblicher Sachschaden.

[...]

Den Verstoß beging der Betroffene nicht wissentlich, sondern infolge mangelnder Sorgfalt, also fahrlässig.


Dazu OLG Hamm ...

Zitat
Die Anordnung eines Fahrverbots begegnet jedoch rechtlichen Bedenken, da nicht angenommen werden kann, dass der Betroffene die Ordnungswidrigkeit unter grober oder beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers i.S.d. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG begangen hat.

Da die Ampel nach den Urteilsfeststellungen bereits längere Zeit Rotlicht zeigte, als der Betroffene in die Kreuzung einfuhr, liegen zwar den äußeren Gegebenheiten nach die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 4 BKatV vor, doch führt dies nicht ohne weiteres zur Annahme eines Regelfalles (vgl. OLG Hamm, ZfS 1995, 152; OLG Düsseldorf, NZV 1994, 161; DAR 1993, 272). Zwar indiziert die Erfüllung eines ein Regelfahrverbot vorsehenden Tatbestandes der Bußgeldkatalogverordnung grundsätzlich das Vorliegen eines groben Verstoßes i.S.v. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, für den es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbotes bedarf (vgl. BGHSt 38, 125, 134; 38, 231, 235), jedoch dürfen die konkreten Umstände des Einzelfalles in objektiver und subjektiver Hinsicht nicht unberücksichtigt bleiben (BVerfG DAR 1996, 196; BGHSt 38, 125).

Nach den Feststellungen hielt der Betroffene zunächst ordnungsgemäß vor der Rotlicht zeigenden Signalanlage an und fuhr aufgrund eines Wahrnehmungsfehlers in die Kreuzung ein, als die neben ihm ebenfalls auf einer Linksabbiegerspur haltende Kraftfahrzeugführerin anfuhr. Der Verstoß beruhte somit auf einem sogenannten "Mitzieheffekt". Unter diesen Umständen stellt sich der festgestellte Rotlichtverstoß nicht als Regelfall eines groben Pflichtenverstoßes dar (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. August 1998 in 2 Ss OWi 727/98 = VRS 96, 64, vom 27. September 1995 in 2 Ss OWi 998/95 = DAR 1995, 501 sowie vom 5. Mai 1994 in 2 Ss OWi 414/94 = NZV 1995, 82 m.w.N.).

Auch der Umstand, dass es durch das Verhalten des Betroffenen zu einem Schaden gekommen ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Anknüpfungspunkt für die vom Verordnungsgeber gewollte schärfere Ahndung des Rotlichtverstoßes nach Nr. 34.2 der Anlage zu § 1 Abs. 1 der BKatV ist das grob pflichtwidrige, abstrakt und ggf. konkret den Querverkehr gefährdende Verhalten des Verkehrsteilnehmers. Fehlt es aber, wie hier, an dem von der Bußgeldkatalogverordnung vorausgesetzten Handlungsunwert der groben Pflichtwidrigkeit, ist der Regeltatbestand auch dann nicht erfüllt, wenn es zu einem Schaden kommt (vgl. auch OLG Hamburg, VM 1995, 35).

Trotz bestehender Voreintragungen, insbesondere einer wegen Rotlichtverstoßes mit Sachschaden, ist das Verhalten des Betroffenen hier auch noch nicht als beharrlicher Verstoß i.S.d. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG einzuordnen. Dagegen spricht nicht nur die verhältnismäßig lange Zeit von fast zwei Jahren, die seit dem einschlägigen Rotlichtverstoß vergangen war (vgl. Beschluss des hiesigen 1. Senats für Bußgeldsachen vom 16. März 1995 in 1 Ss OWi 174/95 bei Burhoff, DAR 1996, 386), sondern auch das Fehlen der subjektiven Voraussetzungen einer beharrlichen Pflichtverletzung. Wiederholung allein beweist noch nicht Beharrlichkeit, da nach allgemeiner Meinung der subjektive Tatbestand ein Handeln des Täters erfordert, das auf einem Mangel an rechtstreuer Gesinnung beruht (vgl. auch OLG Braunschweig DAR 1999, 273, 274; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 25 StVG Rdnr. 15 m.w.N.). Ebenso wie die grobe Pflichtverletzung, bei der es sich um einen Verkehrsverstoß von besonderem Gewicht handeln muss, der abstrakt oder konkret besonders gefährlich ist, muss auch bei dem beharrlichen Pflichtverstoß eine gemeinschaftsschädliche Grundhaltung des Betroffenen vorliegen (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Juni 1999 in 2 Ss OWi 509/99; OLG Braunschweig a.a.O.). Entsprechend der Rechtsprechung zum "Mitzieheffekt" hinsichtlich der groben Pflichtwidrigkeit i.S.d. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG sind diese subjektiven Besonderheiten eines sog. "Augenblicksversagens" auch bezüglich der Beharrlichkeit zu berücksichtigen. Unter Abwägung der Umstände des vorliegenden Falles kann daher noch nicht von einer beharrlichen Pflichtverletzung ausgegangen werden.

Dies schließt andererseits jedoch nicht aus, dass eine Vielzahl auch leichter fahrlässiger Verstöße zu einer beharrlichen Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers i.S.d. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG und damit zur Annahme einer gemeinschaftsschädlichen Grundhaltung führen kann, was hier jedoch angesichts der Art, der Anzahl und des zeitlichen Abstands der bislang geahndeten Verstöße noch nicht der Fall ist.


OLG Hamm, Beschluss vom 09.11.99, Az. 2 Ss OWi 1065/99


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Kein Fahrverbot bei 3 Minütiger Rotphase, wenn andere Verkehrsteilnehmer zum Fahren auffordern

Dem hinsichtlich der Verhängung eines Fahrverbots aufgehobenen Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid liegen folgende Feststellungen zugrunde:

Zitat
Der Betroffene, der am 18.12.1942 in M geboren wurde, ist von Beruf Landwirt. Der Verkehrszentralregisterauszug des Betroffenen weist keine zu berücksichtigenden Eintragungen auf. Am 18.06.1998 befuhr der Betroffene um ca. 13.10 Uhr in die E- Straße aus Richtung E1-Straße kommend. An der Lichtzeichenanlage Einmündung S-Straße hielt er sein Fahrzeug hinter einem weiteren Pkw auf der Linksabbiegerspur an. In derselben Fahrspur hielten die Polizeibeamten und Zeugen Q und H ihren Pkw einige Pkw hinter dem Betroffenen an. Nachdem der Pkw der Zeugen Q und H sich zehn Sekunden in der Kolonne befand, fuhren der erste Pkw und der Betroffene trotz Rotlicht in den Einmündungsbereich ein, nachdem sie ca. drei Minuten an der Lichtzeichenanlage gestanden hatten. Der Betroffene fühlte sich vor allem durch Zurufe von dem hinter ihm befindlichen Pkw-Fahrer zum Überfahren der Haltelinie aufgefordert. Nachdem der Betroffene mit seinem Pkw die Haltelinie passiert hatte, sprang die vollfunktionsfähige Lichtzeichenanlage, bei der es sich um eine Phasenschaltanlage handelt, auf "Grün" um.


Dazu weiter OLG Hamm ...

Zitat
... Die tatsächlichen Feststellungen des Urteils tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes nicht. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts stellt die irrige Annahme einer Funktionsstörung der Lichtzeichenanlage keinen Verbotsirrtum im Sinne der Vorschrift des § 11 Abs. 2 OWiG, sondern einen Tatbestandsirrtum nach Abs. 1 dieser Vorschrift dar.

Ein Tatbestandsirrtum setzt eine Unkenntnis der in Wirklichkeit vorhandenen Umstände (vgl. Cramer in Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl., § 16 Rdnr. 6; Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 11 Rdnr. 2), der Verbotsirrtum hingegen eine falsche rechtliche Wertung des Betroffenen voraus (vgl. Göhler, a.a.O., Rdnr. 30).

Der Irrtum des Betroffenen, die Ampel zeige Dauerrot und sei daher defekt, liegt hier im tatsächlichen Bereich und beruht nicht auf einer unzutreffenden rechtlichen Wertung. Denn hätte eine derartige Funktionsstörung tatsächlich vorgelegen, wäre das von der roten Lichtzeichenanlage ausgehende Gebot nicht verbindlich gewesen (vgl. OLG Köln VRS 59, 454; Jagusch, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 37 StVO Rdnr. 50), sondern der Betroffene wäre - unter Beachtung äußerster Vorsicht - berechtigt gewesen, die Lichtzeichenanlage zu passieren.

Die durch das angezeigte Lichtzeichen gegebene Allgemeinverfügung beruht dann nämlich offensichtlich nicht mehr auf dem vom menschlichen Willen getragenen Schaltplan (der Programmierung durch die Verkehrsbehörde), der die eigentliche Allgemeinverfügung darstellt, sondern auf einem technischen Fehler (vgl. OLG Köln a.a.O. S. 455).

Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen aber für die Begründung eines Fahrlässigkeitsvorwurfs aus, so daß der Schuldspruch wie geschehen abzuändern war. Zeigt die Lichtzeichenanlage an einem Einmündungsbereich circa drei Minuten Rot, darf der betroffene Verkehrsteilnehmer nämlich nicht ohne weiteres von einer Funktionsstörung ausgehen, sondern ist verpflichtet, die Lichtzeichenanlage über einen erheblich längeren Zeitraum zu beobachten. Der Irrtum des Betroffenen beruhte daher auf Fahrlässigkeit, so daß er sich eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes schuldig gemacht hat (vgl. dazu Cramer a.a.O. Rdnr. 12).

2. Auch der Rechtsfolgenausspruch des Amtsgerichts konnte keinen Bestand haben.

Die vom Amtsgericht festgesetzte Geldbuße entspricht zwar in ihrer Höhe der lfd. Nr. 3.4.2 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV. Auch geht die BKatV gemäß § 2 Abs. 1 bei der Bestimmung der Regelsätze von einer fahrlässigen Begehensweise aus. Die Besonderheiten des Falles, erstens das Warten des Betroffenen vor einer mit circa drei Minuten ungewöhnlich lange Rot zeigenden Lichtzeichenanlage, sowie zweitens das den Irrtum des Betroffenen bestärkende Verhalten seines Vorder- und Hintermannes rechtfertigen es aber, nicht von einem Regelfall auszugehen...


Auszug aus: OLG Hamm, Beschluss vom 10.06.99, Az. 2 Ss OWi 486/99


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"Alle Mitgliedstaaten hätten Grund sich zu beklagen. Skouris betont, dass gerade dies beweise, dass der EuGH seine Arbeit gut mache."
(Interview mit Vassilios Skouris am 20.04.06 im ORF)
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Uwe W
Beitrag 12.05.2004, 22:33
Beitrag #14


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Erfolgt die Geschwindigkeitsmessung 50 – 60 m vor der Ortsausgangstafel, so bedarf die Verhängung eines Regelfahrverbots einer besonderen Begründung

Der Beschluss des Bayrischen Obersten Landesgerichts v. 27.06.2002 - 1ObOWi 221/02 ist nachzulesen unter:
Bay ObLG Beschluss vom 27.06.2002 (sicherestrassen.de)

Der Beitrag wurde von Rolf Tjardes bearbeitet: 03.01.2007, 02:36


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Rolf Tjardes
Beitrag 28.05.2004, 03:05
Beitrag #15


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Absehen vom Fahrverbot bei außergewöhnlichen beruflichen/wirtschaftlichen Härten?

Zu den Voraussetzungen, unter denen [...] von der Anordnung des gesetzlichen Regelfahrverbots des § 25 Absatz 1 Satz 2 StVG abgesehen werden kann...

Zitat (Auszug)
... "Eine außergewöhnliche Härte, die es rechtfertigt, von der Verhängung des Regelfahrverbots nach § 25 Absatz 1 Satz 2 StVG a.F. und n.F. abzusehen, ist nicht bereits dann anzunehmen, wenn diese Sanktion mit beruflichen und/ oder wirtschaftlichen Nachteilen für den Täter verbunden ist. Denn solche sind im allgemeinen, zumindest aber häufig, die zwangsläufige Folge eines Fahrverbots und reichen deshalb zur Begründung einer Ausnahme grundsätzlich nicht aus. Auch haben Umstände wie eine hohe jährliche Fahrleistung, eine jahrelange unfallfreie Fahrpraxis sowie das Fehlen von Voreintragungen im Verkehrszentralregister weder ein jeder für sich allein noch in ihrem Zusammentreffen und in Verbindung mit beruflichen und/ oder wirtschaftlichen Nachteilen des Fahrverbots ein ausreichendes Gewicht, um von der Regel des § 25 Absatz 1 Satz 2 StVG a.F. und n.F. abzuweichen (Jagusch/ Hentschel, § 25 StVG Rdnr. 15a; Mühlhaus/ Janiszewski, § 25 StVG Rdnr. 13). Anders kann es jedoch sein, wenn dem Betroffenen infolge des Fahrverbots Arbeitsplatz- oder Existenzverlust droht und diese Konsequenz nicht durch zumutbare Vorkehrungen abgewendet bzw. vermieden werden kann (Jagusch/ Hentschel, § 25 StVG Rdnr. 15a; Mühlhaus/ Janiszewski, § 25 StVG Rdnr. 13, jew. m.w.Nachw.). Ob dies im Einzelfall zutrifft, unterliegt in erster Linie tatrichterlicher Würdigung. Auf jeden Fall aber bedarf ein Abweichen von der gesetzlichen Regelfolge des § 25 Absatz 1 Satz 2 StVG a.F. und n.F. einer eingehenden, mit Tatsachen belegten Begründung (Mühlhaus/ Janiszewski, § 25 StVG, Rdnr. 13 a.E.)." ...

OLG Düsseldorf, Beschluß vom 9. 11. 1998 - 5 Ss (OWi) 299/98 - (OWi) 131/98 I [Volltext]
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Rolf Tjardes
Beitrag 28.05.2004, 03:12
Beitrag #16


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Aufsatz zum Absehen vom Fahrverbot von Detlef Burhoff, Richter am OLG Hamm, aus Verkehrsrecht Aktuell (VA), 2001, 104 ff. ...
  1. Welche Kriterien sind von Bedeutung?
  2. Welchen Prüfungsmaßstab hat der Tatrichter anzulegen?
  3. Wann ist ein Fahrverbot "erforderlich"?
  4. Was spricht für oder gegen die Angemessenheit des Fahrverbotes?
  5. Welche Rolle spielen insbesondere berufliche Nachteile?
  6. Welche Rolle spielen körperlichen Behinderungen und Krankheiten?
-> Volltext: Hier klicken
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Burkhard
Beitrag 13.06.2005, 22:45
Beitrag #17


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Augenblicksversagen im Straßenverkehr, eine Umgehung des Fahrverbots?

Immer wieder kommt es vor, dass Betroffene einer Ordnungswidrigkeit, die mit einem Fahrverbot belegt ist, sich auf das so genannte „Augenblicksversagen“ berufen, um letztlich genau dieses Fahrverbot zu umgehen. Darüber hinaus berufen sich Betroffene insbesondere im Versicherungsfall auf ein Augenblicksversagen, wenn ihnen im Schadensfall der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit unterstellt wird, der im Innenverhältnis, sprich dem Vollkaskoschadensfall eine Leistungsbefreiung des Versicherers zur Folge hätte. Rechtsgrundlage hierfür ist der § 61 Versicherungsvertragsgesetz (VVG).

Als Fallbeispiel nutze ich einen Sachverhalt, in dem sich ein Kraftfahrer auf ein Augenblicksversagen berufen hat, als er an einer Rotlicht abstrahlenden LZA zunächst anhielt und anschließend bei weiterhin Rotlicht abstrahlenden LZA in den Kreuzungsbereich einfuhr, da er fälschlicher Weise annahm, dass seine Fahrspur frei gegeben wurde, es sich aber tatsächlich um die Linksabbieger LZA handelte.

Natürlich kann kein Kraftfahrer von sich behaupten, dass ihm das nie passieren würde. Ich gehe davon aus, dass der so genannte Nachzieheffekt - bei sonst aufmerksamer Fahrweise - auch mich treffen könnte. Insofern wurde auch im geschilderten Fall tatsächlich auf ein Augenblicksversagen des Fahrzeugführers erkannt.

Es ist nicht ganz einfach, die Frage nach dem Augenblicksversagen möglichst kurz zu behandeln. Allein die Ausführungen des BGH hierzu umfassen insgesamt acht DIN-A4 Seiten und in meiner Urteilssammlung zu diesem Thema gibt es inzwischen 116 Entscheidungen der Oberlandesgerichte und des BGH.

Als wesentliche Quellen sind folgende Urteile/Beschlüsse zu nennen:
  • Urteil des BGH vom 08.02.1989, Az.: VIa ZR 57/88
  • Beschluss des BGH vom 11.09.1997, Az.: 4 StR 638/96 und
  • Urteil des BGH vom 29.01.2003, Az.: IV ZR 173/03 (zu & 61 VVG)
Bei der Auswertung der Urteile wird schnell klar, dass es unmöglich ist, bestimmte Verkehrsvorgänge im Zusammenhang mit einem Augenblicksversagen zu pauschalisieren. Vielmehr ist erkennbar, dass die Bewertung nur anhand eines Einzelfalls erfolgen kann und darf.

Begriffsbestimmung Augenblicksversagen
Eine eigene Interpretation dieses Begriffes erübrigt sich, da der BGH in seinem Urteil vom 08.02.1989, Az.: VIa ZR 57/88, den Begriff definiert bzw. erklärt hat.

„Das Vergessen eines von verschiedenen Handgriffen in einem zur Routine gewordenen Handlungsablauf, das auch einem üblicherweise mit seinem versicherten Eigentum sorgfältig umgehenden Versicherungsnehmer passieren kann, ist bei einem solchen Versicherungsnehmer der typische Fall eines Augenblickversagens, das das Verdikt "grobe Fahrlässigkeit" nicht verdient.“

Unter dem Augenblicksversagen werden also solche Verkehrsabläufe subsumiert, die sich dem Betroffenen nicht zwingend aufgedrängt haben, aber bei aufmerksamer Fahrweise zu beherrschen gewesen wären. Somit indiziert ein Augenblicksversagen eine abgeschwächte Form der Fahrlässigkeit. Ein grob fahrlässiges Verhalten, wie es zur Anwendung eines Fahrverbotes und der Leistungsbefreiung nach dem Versicherungsvertragsgesetz (§ 61 VVG) Voraussetzung ist, kann somit nicht mehr ohne weiteres zum Tragen kommen.

Fahrverbot § 25 StVG und Augenblicksversagen
Die grundsätzliche Bedeutung des Fahrverbots sollte hinlänglich bekannt sein: Die Verhängung eines Fahrverbotes kann oder soll als zusätzliche "Erziehungsmaßnahme" gegen Verkehrsteilnehmer verstanden werden, die grob pflichtwidrig oder beharrlich gegen die Vorschriften im Straßenverkehr verstoßen haben. Unter welchen Voraussetzungen Fahrverbote verhängt werden, regelt § 25 StVG.

§ 25 Fahrverbot
(1) Wird gegen den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24, die er unter grober oder beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, eine Geldbuße festgesetzt, so kann ihm die Verwaltungsbehörde oder das Gericht in der Bußgeldentscheidung für die Dauer von einem Monat bis zu drei Monaten verbieten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen. Wird gegen den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 a, eine Geldbuße festgesetzt, so ist in der Regel auch ein Fahrverbot anzuordnen.
(2)…(8)

Der Gesetz- und Verordnungsgeber hat im Bußgeldkatalog bereits Regelbeispiele erfasst, die mit einem Fahrverbot belegt sind. Es handelt sich hierbei um Ordnungswidrigkeiten die immer wieder ursächlich für schwere Verkehrsunfälle sind.

Diesen Verstößen wird eine besondere objektive Gewichtung hinsichtlich der Verkehrsgefährdung zugesprochen. Hier einige Beispiele:
  • Fahren entgegen der Fahrtrichtung, Wenden und Rückwärtsfahren auf Kraftfahrstraßen und Autobahnen
  • Abstandsverstöße (Gefährdungsabstand)
  • Überholverstöße trotz unklarer Verkehrslage
  • Teilnahme an illegalen Kraftfahrzeug-Rennen und
  • qualifizierte Rotlichtverstöße.
§ 25 Abs. 1 Satz 1 ist aber weiter zu entnehmen, dass neben objektiven Komponenten bestimmter Ordnungswidrigkeiten, auch subjektive Elemente, nämlich die grobe oder beharrliche Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers zu beachten sind.

Insofern sind auch die Ausführungen des BGH-Beschlusses vom 11.09.1997 zu sehen:
„Die Annahme einer groben Pflichtverletzung setzt zunächst voraus, daß der Zuwiderhandlung in objektiver Hinsicht Gewicht zukommt. Sie ist im allgemeinen nur bei abstrakt oder konkret gefährlichen Ordnungswidrigkeiten gerechtfertigt, die immer wieder die Ursache schwerer Unfälle bilden (BT-Drucks. V/1319, S. 90).“

„Das besondere objektive Gewicht einer Ordnungswidrigkeit vermag indes die Annahme einer groben Pflichtverletzung für sich allein nicht zu tragen. Hinzu kommen muß vielmehr, daß der Täter auch subjektiv besonders verantwortungslos handelt. Eine grobe Pflichtverletzung kann ihm nur vorgehalten werden, wenn seine wegen ihrer Gefährlichkeit objektiv schwerwiegende Zuwiderhandlung subjektiv auf groben Leichtsinn, grobe Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit zurückgeht …“

Noch mal zum besseren Verständnis der Kausalität.
1. Eine grobe Pflichtverletzung kann nur gegeben sein, wenn auch der begangenen Ordnungswidrigkeit eine hohe Gewichtung für die Verkehrssicherheit zukommt (siehe Aufzählung Regelbeispiele Fahrverbot).
2. Dem entgegen kann alleinig das Vorliegen einer schwer wiegenden Ordnungswidrigkeit das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung nicht indizieren.

Der Senat hat aber weiter ausgeführt, dass die Bußgeldstellen und Gerichte bei der Entscheidung über die Verhängung des Fahrverbots beim Vorliegen eines Regelfalls (hier bei einer qualifizierten Geschwindigkeitsüberschreitung) durchaus vom Vorwurf grober Pflichtwidrigkeit ausgehen können. Das bedeutet, dass sie von sich aus dahingehend nicht zu ermitteln brauchen. Dies wäre nur dann erforderlich, wenn sich hiefür Anhaltspunkte ergeben oder der Betroffene sich auf ein Augenblicksversagen beruft.

Bei Letzterem ist wiederum zu beachten, dass das alleinige Berufen auf ein Augenblicksversagen nicht ausreicht, um von einem Fahrverbot abzusehen. Vielmehr bedarf es eindeutiger Tatsachen, die einer tatrichterlichen Begründung genügend Argumentationsspielraum bieten. Das bedeutet wiederum, dass der Betroffene den Anscheinsbeweis einer groben Pflichtverletzung widerlegen muss. Das Gericht, bzw. der Richter müssen/muss zu der Überzeugung gelangen, dass es sich um eine Ausnahmesituation handelt, in der die Sanktionierung mit einem Fahrverbot „überzogen“ – oder besser ausgedrückt – nicht von § 25 StVG gedeckt ist.

Wird auf ein Augenblicksversagen erkannt, dann ist es keine Frage der Abwägung, ob ein Fahrverbot verhängt wird oder nicht, sondern es ist die logische Schlussfolgerung aus § 25 StVG, der nur bei grob pflichtwidrigen Verhalten ein Fahrverbot vorsieht.

Somit bestehen bei Anerkennung auf ein Augenblicksversagen nicht die gesetzlichen Grundlagen für die Verhängung eines Fahrverbotes. Hinzu kommt, dass es auch dem Sinngehalt der Vorschrift widersprechen würde; so sieht es auch der BGH in seinem Beschluss vom 11.09.1997:

„…Des Einsatzes eines "eindringlichen Erziehungsmittels" bedarf es nicht zur Einwirkung auf einen Verkehrsteilnehmer, der infolge eines Augenblicksversagens fahrlässig eine - objektiv schwerwiegende - Verkehrsordnungswidrigkeit begeht, die nicht vorkommen darf, aber erfahrungsgemäß auch dem sorgfältigen und pflichtbewußten Kraftfahrer unterläuft. Das objektive Gewicht seiner Tat findet in dem erhöhten Bußgeld hinreichend Ausdruck. Weitere "Denkzettel- und Besinnungsmaßnahmen" sind nicht angezeigt. Im Hinblick darauf gebieten es schließlich auch das verfassungsrechtliche Übermaßverbot und der Schuldgrundsatz, den Begriff der groben Pflichtverletzung dahin auszulegen, daß nur Verhaltensweisen erfaßt werden, die auch subjektiv als besonders verantwortungslos gewertet werden können (vgl. auch BVerfGE 27, 36 , 42; DAR 1996, 196 , 197).“

Der BGH hat in seiner Entscheidung gleichzeitig zu bestimmten Ordnungswidrigkeiten ein Augenblicksversagen verneint; dies sind:
  • Abstandsunterschreitungen, die lt. Tabelle 2 mit FV belegt sind,
  • Geschwindigkeitsverstöße der in § 3 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 Nr. 2 StVO, die in Tabelle 1 und 1a mit FV belegt sind,
  • Wenden, Rückwärtsfahren sowie Fahren entgegen der Fahrtrichtung auf Kraftfahrstraßen und Autobahnen,
Zur Begründung wird ausgeführt, dass sich dem Kraftfahrer die Gefährlichkeit seines ordnungswidrigen Verhaltens regelmäßig so deutlich aufdrängen muss, dass Sachverhalte, in denen gleichwohl keine grobe Pflichtverletzung vorliegt, kaum vorstellbar erscheinen.

Es ist immer wieder zu vernehmen, dass von so genannten Grundsätzen gesprochen wird, die der BGH zum Augenblicksversagen erlassen hat. Zu diesen Grundsätzen können nur die zuvor aufgeführten Tatbestände gezählt werden. In allen anderen Konstellationen sind nach Prüfung des Einzelfalls durchaus Verkehrsvorgänge denkbar, die auf ein Augenblicksversagen zurückzuführen sind.

Ein wichtiger Hinweis sei zum Abschluss noch gegeben.
Der BGH hat im Urteil vom 29.01.2003 an der Feststellung des BGH, Urteil vom 08.02.1989 festgehalten, dass eine tatrichterliche Würdigung zum Augenblicksversagen mit dem Rechtsmittel der Revision nur beschränkt angreifbar ist. „Nachgeprüft werden kann nur, ob beim Bewerten des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht geblieben sind …“

Fazit:
Wird auf ein Augenblicksversagen erkannt, dann ist es nur folgerichtig, dass ein Fahrverbot nach § 25 StVG nicht verhängt wird. Es handelt sich hierbei nicht um eine abgemilderte Ahndung sondern der Betroffene handelte schlichtweg nicht tatbestandsmäßig i. S. d. § 25 StVG, da der subjektive Tatbestand nicht erfüllt ist.

Aktualisiert am 28.11.2005

Der Beitrag wurde von Achim bearbeitet: 28.11.2005, 19:36


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