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> Kein direkter FE-Entzug bei erstmaliger Fahrt unter THC-Einfluss?, Neue Rechtsprechung des bayrischen VGH
proPeter
Beitrag 25.10.2016, 09:30
Beitrag #1


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Hallo, ich habe hier 2 neueste Urteile von Eilverfahren aus Bayern. Hier wurde der sofortige Entzug der Fahrerlaubnis, nach der ersten Fahrt unter Einfluß von THC, erfolgreich angefochten, obwohl gelegentlicher
Konsum und mangelndes Trennungsvermögen erwiesen war.

VGH München, Beschluss v. 29.08.2016 – 11 CS 16.1460 551
VGH München, Beschluss v. 14.09.2016 – 11 CS 16.1467

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Kai R.
Beitrag 25.10.2016, 10:22
Beitrag #2


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beide Entscheidungen haben aber nichts mit einem höheren Grenzwert zu tun.

Interessant ist, dass hier in zwei Fällen die aufschiebende Wirkung wieder hergestellt wird, obwohl gelegentlicher Konsum und mangelndes Trennvermögen erwiesen waren. Allerdings unter strengen Auflagen: Haaranalyse, Urinkontrolle sofort und innerhalb 8 Wochen eine positive MPU.


--------------------
Grüße

Kai

--- sorry, keine Privatkonsultationen per PN ---
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proPeter
Beitrag 25.10.2016, 10:33
Beitrag #3


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Zitat (Kai R. @ 25.10.2016, 11:22) *
beide Entscheidungen haben aber nichts mit einem höheren Grenzwert zu tun.


Das ist richtig. Dennoch wird der bestehende Grenzwert abgeschwächt. Es bleibt sogar nach oben offen, bis zu welcher Grenze diese "neue" Vorgehensweise und Betrachtungsweise herangezogen werden darf.
Deshalb hat es indirekt doch etwas mit einem "höheren Grenzwert" für die sofortige Entziehung beim ersten Mal zu tun.
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Mr.T
Beitrag 25.10.2016, 13:37
Beitrag #4


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Habe dem "neuen" Thema einen eigenen Thread spendiert.


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Gruß Mr.T

Gegen den Strom zu schwimmen ist deshalb so schwierig, weil einem so viele entgegenkommen.
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Uwe W
Beitrag 25.10.2016, 14:13
Beitrag #5


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Ich finde diese neue Rechtsprechung des VGH München sehr mutig. In gewisser Hinsicht ist es ein Paukenschlag.

Der VGH bezweifelt meines Erachtens zu Recht, dass bereits eine einmalige Fahrt unter Einfluss von Cannabis zum Nachweis fehlenden Trennvermögens führt.

Während bei Alkohol der erste Verstoß gegen die 0,5 Promille-Grenze als OWi noch nicht zu Zweifeln am Trennvermögen berechtigt und erst der zweite Verstoß dann zu Zweifeln führt, denen im Rahmen einer MPU nachzugehen ist, soll bei Cannabis bereits das erstmalige Überschreiten des sehr strengen Grenzwerts zum Verlust der Eignung führen? Das ist doch widersinnig und im Hinblick auf die Verkehrssicherheit nicht effektiv. Wer zweimal mit 1,0 Promille erwischt wird, darf seine Fahrerlaubnis noch während der mehrmonatigen MPU-Frist behalten, während bei einmalig 1,1 ng/ml THC die charakterlichen Defizite so schwer wiegen sollen, dass ein sofortiges Aus-Dem-Verkehr-Ziehen nötig ist?
Bei 1,0 Promille ist die Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer doch schon deutlich erhöht, und wenn das zweimal passiert, muss man schon sehr lernresistent sein. Im Bereich 1,0 bis 2,0 ng/ml THC sind zwar drogenbedingte Defizite möglich, aber keineswegs sicher, und im Durchschnitt geht von diesen Fahrern keine größere Gefahr aus als von nüchternen Fahrern.

"Mutig" habe ich die Entscheidung genannt, weil ich Zweifel habe, ob sie mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vereinbar sind, insbesondere seinem Urteil aus 2014 zur 1,0 ng/ml Grenze:
Diesem Urteil wurde ja von der früheren Rechtsprechung des VGH München mit ausgelöst, wonach im Bereich von 1,0 bis 2,0 ng/ml kein Sofortentzug erfolgen soll, sondern zunächst nur eine MPU angeordnet wird. Die gegenteilige Meinung des VGH Mannheim (und vieler anderer OVGs), der auch bei Ersttätern ab 1,0 ng/ml einen sofortigen Entzug für rechtmäßig erklärt hat, wurde in dem BVerwG-Urteil ja gerade gebilligt. Wenn schon die alte Rechtsprechung des VGH München also zu liberal war, dann gilt doch gleiches für die neue, bei der sogar bei 4,6 ng/ml THC aktiv die aufschiebende Wirkung der Klage unter Auflagen wiederhergestellt wurde.
Im ersten Fall sind zwischen THC-Fahrt und letzter Behördenentscheidung übrigens nur ca. 7 Wochen vergangen, so dass ein Rückgewinn einer verloren gegangenen Eignung auszuschließen ist.
Den zweiten Fall hätte der VGH übrigens auch unter dem Gesichtspunkt zu Gunsten des Antragstellers entscheiden können, dass der Wiedergewinn der Eignung während des laufenden Widerspruchsverfahrens durchaus möglich ist. Dass die Beurteilungskriterien einen Rückgewinn der Eignung innerhalb kürzerer Frist als einem Jahr erlauben, hatte der VGH München schon vor einigen Monaten erkannt.


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"Alle Mitgliedstaaten hätten Grund sich zu beklagen. Skouris betont, dass gerade dies beweise, dass der EuGH seine Arbeit gut mache."
(Interview mit Vassilios Skouris am 20.04.06 im ORF)
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MsTaxi
Beitrag 25.10.2016, 14:24
Beitrag #6


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Ich kann die Begeisterung von @proPeter nicht so wirklich nachvollziehen. Für den Einzelfall der Betroffenen, die hier vor Gericht zogen, ist es sicher erfreulich, ob es für die breite Masse so werden wird, stelle ich doch mal in Frage.

Sehen wir uns doch mal die Leute an, die hier wegen Hilfe aufschlagen. Es handelt sich zwar um eine hoch ausgewählte Stichprobe, aber es ist die beste Datenquelle, die wir haben. Ich führe zwar keine Strichliste, aber gefühlt maximal 20% von denen, deren Werte zwar über 1,0 ng/ml liegen, aber sich mit einem Probierkonsum vereinbaren lassen, sind echte Erstkonsumenten. Diese können nun wirklich von den beiden genannten Entscheidungen profitieren, aber unter ganz beträchtlichem Zeit- und Kostenaufwand. Ok, verglichen mit Zu-Fuß-gehen natürlich erträglich.

Innerhalb von 4 Wochen eine Haaranalyse, innerhalb von 6 Wochen Urinprobe und innerhalb von 8 Wochen eine positive MPU, das ist für echte Einmalkonsumenten natürlich keine Hürde, sieht man vielleicht von der MPU mal ab. Die anderen gefühlten 80% allerdings scheitern oft genug dann schon an der Haaranalyse. In meinen Augen wird sich das eher verschärfend, denn erleichternd auswirken, auch wenn ich mich da gerne in der Einschätzung korrigieren lasse. Und oft genug erleben wir es doch hier auch, dass das Wissen bei THC-Usern um die Praxis der Fahrerlaubnisbehörden nur ein vermeintliches ist, wenn sie herkommen. Das lässt in meinen Augen den Umkehrschluss zu, dass außerhalb der Boards noch viel mehr Ahnungslose durch die Gegend fahren und laufen, die sich auf Einmalkonsum berufen (werden) und dann noch überraschter sein werden, wenn sie binnen vier Wochen plötzlich eine Haaranalyse abgeben müssen. Dann haben sie mit der vermeintlichen Erklärung das Tor geöffnet, dass ihnen eventuell doch mindest gelegentlicher Konsum nachgewiesen werden kann.

Und zum Grenzwert: Als juristische Laiin kann ich nur sagen, dass ich in dem Beschluss zum Kelkheimer Fall es so verstehe, dass das Gericht sich weniger gegen die Höhe des Grenzwertes gewandt hat, als vielmehr, dass ihnen die geforderte Abstinenzdauer von einem Jahr als zu hoch erschien. Aber auch da lasse ich mich gern korrigieren.

Ich bleibe jedenfalls skeptisch, ob da wirklich Grund zum Jubeln ist.

LG MsTaxi


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"Das Problem beim Klartext reden in Sachen Alkohol und Drogen besteht darin, dass der, der zuhört, gern weghört, wenn er noch nicht bereit für den Klartext ist."
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Mr.T
Beitrag 25.10.2016, 14:42
Beitrag #7


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@MsTaxi, die Entscheidungen des VGH München betreffen keine Erstkonsumenten, sondern gelegentliche Konsumenten ohne Trennvermögen.


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Gruß Mr.T

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proPeter
Beitrag 25.10.2016, 15:01
Beitrag #8


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Es sind Urteile von Eilverfahren, wo gelegentliche Cannabis Konsumenten, ohne Trennungsvermögen, ihre Fahrerlaubnisse gegen Auflagen vorerst behalten durften, sofern es das erste mal war, dass sie erwischt wurden.
Diese Urteile können in Zukunft als Referenzurteile in anderen Eilverfahren von der Verteidigung zitiert werden. Das ist gut so! So ein Urteil war längst schon überfällig.
Die Richter haben weise entschieden. Es ist ein Gegengewicht gegen die bisher übliche Rechtsprechung geschaffen worden.
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husky
Beitrag 25.10.2016, 15:38
Beitrag #9


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Müssen durch solche Urteile jetzt die Landratsämter dem Folge leisten?
Oder sind diese Urteile nur für den Einzelfall zu beurteilen?

Muss sowas nicht auf Bundesebene abschließend geklärt sein?
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Malermeister
Beitrag 25.10.2016, 16:22
Beitrag #10


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Zitat (husky @ 25.10.2016, 16:38) *
Müssen durch solche Urteile jetzt die Landratsämter dem Folge leisten?
Leider nein

Zitat (husky @ 25.10.2016, 16:38) *
Oder sind diese Urteile nur für den Einzelfall zu beurteilen?
Solch ein Urteil muss im konkreten Fall vor Gericht erstritten werden.

Zitat (husky @ 25.10.2016, 16:38) *
Oder sind diese Urteile nur für den Einzelfall zu beurteilen?
Das wäre gut, wenn die Rechtsprechung und auch die Praxis im Verwaltungsrecht bezüglich FE und Eignung bundesweit gleich wäre.
Davon sind wir aber leider weit entfernt.


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Mitglied der Interessengemeinschaft 'Rettet den Genitiv'
Unser Zeitalter ist stolz auf Maschinen die denken und mißtrauisch gegen Menschen, die es versuchen.
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durban
Beitrag 26.10.2016, 10:38
Beitrag #11


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Es gibt zwar keine formale Bindungswirkung über den Einzelfall hinaus; allerdings ist es schon so, dass sich die Behörden in der Regel an der obergerichtliche Rechtsprechung in ihrem Bezirk orientieren. Denn es hat ja keinen Sinn, dass alle Bescheide der Behörde wieder aufgehoben werden.

Die Entscheidung hier ist schon interessant. Man darf sie aber noch nicht überbewerten: Der VGH hat die Frage zum Trennvermögen noch nicht entschieden. Er hat die Frage im vorläufigen Verfahren offen gelassen und dann im Rahmen einer Güterabwägung bis zur Entscheidung in der Hauptsache dem Betroffenen die Fahrerlaubnis zurückgegeben.

Wenn der VGH im Hauptsacheverfahren zu dem Schluss kommen sollte, dass bei einer einmaligen Fahrt unter Betäubungsmitteleinfluss bei einem Gelegenheitskonsumenten die Fahrerlaubnis nicht zu entziehen ist, dann müsste vermutlich das Bundesverwaltungsgericht ran.


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Uwe W
Beitrag 28.10.2016, 16:56
Beitrag #12


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Zitat
Dass die Beurteilungskriterien einen Rückgewinn der Eignung innerhalb kürzerer Frist als einem Jahr erlauben, hatte der VGH München schon vor einigen Monaten erkannt.

Diese Äußerung bezog sich auf den folgenden Beschluss: (allerdings wurden damals die Beurteilungskriterien noch nicht zitiert, vielmehr die Begutachtungsleitlinien der BAST mit ihren Aussagen zum Wiedergewinn der Kraftfahreignung nach Alkoholmissbrauch herangezogen):
VGH München, Beschluss v. 25.01.2016 – 11 CS 15.2480

Auch wenn sich die Behörden in Bayern an die neuen Beschlüsse halten, wird sich für die Betroffenen vermutlich nicht viel ändern, außer dass sie in einigen Fällen noch ca. 2 Monate länger fahren dürfen:

Denn wird kurz nach der Fahrt unter THC-Einfluss eine MPU-Anordnung statt einem Sofortentzug erfolgt, wird es schwierig sein, die MPU zu bestehen.
Ich gehe mal davon aus, dass die Begutachtungsstellen auch weiterhin eine stabile Verhaltensänderung verlangen und sich nicht damit zufrieden geben, dass die Fahrt ein einmaliger Ausrutscher war bzw. dass man jetzt dazugelernt hat, dass der Abbau von THC nicht so schnell geht, wie vom Konsumenten vermutet.

Kann aber in der Frist kein positives MPU-Gutachten vorgelegt werden, so muss der Betroffene weiterhin mit dem Entzug der Fahrerlaubnis rechnen.

Ist dagegen seit der Fahrt schon deutlich mehr Zeit vergangen (mehr als 6 Monate), so besteht die Chance, eine MPU zu bestehen, weil dann die Möglichkeit besteht, dass eine verloren gegangene Kraftfahreignung zurückgewonnen wurde. Das hätte man aber schon mit der seit Januar geänderten Rechtsprechung praktizieren können, die ja in dem zweiten der neuen Beschlüsse auch fortgeführt wird.

Aus den genannten Gründen ist es auch fraglich, ob der vom VGH München in den beiden jüngsten Beschlüssen aufgestellte Rechtgrundsatz, dass bei Ersttätern kein Sofortentzug, sondern nur eine MPU erfolgt, schnell vom Bundesverwaltungsgericht überprüft wird: denn bevor die Sache nach Leipzig geht, hat der Betroffene entweder schon eine MPU bestanden, bekommt (s)eine Fahrerlaubnis (zurück), so dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat, oder aber kann keine positive MPU vorweisen und hätte dann auch nach der neuen Rechtsprechung keine Chancen mehr.


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"Alle Mitgliedstaaten hätten Grund sich zu beklagen. Skouris betont, dass gerade dies beweise, dass der EuGH seine Arbeit gut mache."
(Interview mit Vassilios Skouris am 20.04.06 im ORF)
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